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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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PROLOG
    Martin Luther hatte kaum mit der Übersetzung des
Matthäus-Evangeliums begonnen, da erschien ihm der Teufel. Er entsprach in
allen Belangen dem Bild, das sich Luther von ihm gemacht hatte. Für Luther war
der unerwünschte Besuch zwar ein Schreck, aber keine vollkommene Überraschung,
hatte sich die Anwesenheit des Teufels doch schon zuvor offenbart: durch
gespenstisches Gepolter auf den Treppen vor Luthers Stube, durch einen Schwarm
Schmeißfliegen, der ihn von seiner Arbeit abzulenken suchte, und durch die
Haselnüsse, die eines Nachts in ihrem Sack rasselten und hüpften, als wären sie
lebendig.
    Während ihn der Teufel höflich, ja beinahe freundlich und bei seinem
Namen nannte und grüßte, erwog Luther, nach Hilfe zu rufen. Aber der Winterwind
pfiff so laut um die Wartburg, dass ihn vermutlich niemand gehört hätte, und
selbst wenn: Es war die Thomasnacht, die längste, finsterste Nacht des Jahres,
die man tunlichst in seinen eigenen vier Wänden verbrachte, weil die Vorhölle
offen steht und die Leichen sich aus ihren Gräbern befreien. Es hätte also eh
niemand seine Kammer verlassen, um Luther zu helfen. Und fliehen konnte er
nicht, denn zwischen ihm und der einzigen Tür nach draußen stand er, der Teufel.
    Also griff Luther kurzerhand nach dem Tintenfass, das vor ihm auf
dem Tisch zwischen der griechischen und der lateinischen Bibel stand, und
schleuderte es gegen den Leibhaftigen, als dieser in den Raum trat. Der Teufel
duckte sich unter dem Geschoss weg. Das Fass zerschellte an der
gegenüberliegenden Wand neben dem Ofen. Nachdem sie beide für einen Augenblick
den so entstandenen Fleck auf der kalkweißen Wand betrachtet hatten, eine
Spinne mit tausend Beinen, drehte sich der Teufel kopfschüttelnd zu Luther um
und sagte: »Was für ein hässliches Willkommen.«
    »Weg mit dir, Satan!«, rief Luther, indem er das Zeichen des Kreuzes
schlug. »Ich bete Gott an, und ihm allein diene ich!«
    »Dem sei, wie ihm wolle«, erwiderte der Schwarze, »aber ich habe dir
bislang nichts getan, als dich freundlich zu grüßen, weshalb ich nicht
verstehe, warum du mit Tinte nach mir wirfst.«
    »Um dich zu vertreiben, du Sohn der Verdammnis!«
    »Ich verstehe. Und dafür, meinst du, genügt ein einfaches
Tintenfass?«
    Während Luther nach einer Antwort suchte, schritt sein Gast durch
die kleine Stube, die nunmehr seit einem halben Jahr Luthers Bleibe war in
seinem Asyl auf der Wartburg; er betrachtete Luthers Bettnische, seinen wenigen
Hausrat und die Flöte, die von einem Nagel an der Wand hing; schaute durch
eines der beiden Fenster in die tintenschwarze Nacht; tat, als ob er sich die
Hände an den Kacheln des Ofens wärmte und blieb schließlich hinter dem Tisch
stehen, auf dem zahlreiche dicht beschriebene Papiere lagen, dazu Vulgata und
griechisches Neues Testament, zwei Kerzen, einige Federkiele und ehemals ein
Tintenfass. Er nahm ein Blatt auf und las die Passage, die Luther zuletzt
geschrieben hatte.
    »Schau an, schau an: Jesus in der Wüste«, sagte er. »Das hast du
schön geschrieben. Kraftvoll und prägnant.«
    Schon wollte sich Luther für das Lob bedanken, da besann er sich
eines Besseren und fragte: »Was willst du von mir?«
    »Ich weiß um deine Sorgen, Luther. Deshalb bin ich hier, um dir
einen Rat zu geben, der dich ihrer entledigt: Brich dein Werk ab. Strecke die
Feder; mach deiner Rebellion ein Ende. Leg dich nicht länger mit aller Welt an,
um alle Welt zu verändern. Füge dich dem Willen von Papst und Kaiser, und führe
das glückliche Mönchsleben weiter, das du einst hattest. Da du meine
Fingerzeige mit den Fliegen und den Nüssen offensichtlich nicht begriffen hast,
musste ich in eigener Person kommen.«
    »Mich fügen?«, erwiderte Luther. »Das könnte dir wohl passen, du
Schlange! Wenn der Teufel meine Lehren angreift und verwirft, weiß ich doch
umso mehr, dass ich auf dem richtigen Wege bin!«
    »Ich verwerfe deine Lehren nicht, ganz im Gegenteil«, entgegnete der
Teufel. »Es ist nur leider so, dass die Anhänger der neuen und der alten Lehre
sich nicht einigen werden. Mit deinen Schriften sprengst du die deutsche
Nation.«
    »Wenn das Wort Gottes die deutsche Nation sprengt, dann war das
Gefäß auch nichts wert.«
    »Das sagst du so leichthin. Und wenn hundert Jahre nach dir in
diesem Konflikt, dessen Ursache du warst, von deinen lieben Deutschen jeder
Dritte gestorben sein wird?«
    »Unfug! Wie sollte so etwas Ungeheuerliches geschehen?«
    »Ganz einfach: Die Anhänger
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