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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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rings die Stube umschloss, zur
Seite und führte seine Hand in ein Loch im Mauerwerk dahinter. Als er sie
wieder hervorzog, hielt er ein schwarzes Bündel umfasst. Erst als er damit ans
Licht der Kerzen trat, erkannte Luther, dass es Ratten waren – tote, längst
vertrocknete Ratten, sechs im Ganzen –, die an ihren Schwänzen fest
zusammengeklebt waren. Von einem klumpigen Knoten in der Mitte gingen die sechs
Leiber ab wie die Spitzen einer Schneeflocke. Nun hielt der Teufel die flache
Hand ausgestreckt, dass der Knoten auf seiner Handfläche lag und die Tiere
zwischen den Fingern baumelten gleich Quasten von einem Kardinalshut. Bis auf
einige wenige Flecken Fell waren sie nackt, die schwarze Haut straff über die
Knochen gespannt. In ihren Köpfen gähnten die leeren Augenbecher. Die Zähne
hatten sie zu einem gelbweißen Grinsen gebleckt.
    »Lieber Herr Christ!«, rief Luther, der vor dem Anblick der Kadaver
zurückgeschreckt war und die Augen dennoch nicht abwenden konnte. »Was hat das
mit den Sängern zu tun?«
    »Gar nichts. Aber es macht meine Erzählung lebhafter und bunter,
wenn du erlaubst. Sieh sie dir an: Diese sechs unzertrennbaren Ratten seien
stellvertretend für die sechs Teilnehmer des legendären Sängerstreits.« Indem
er nacheinander auf drei Tiere zeigte, sagte er: »Von diesen drei unsterblichen
Meistern des Minnesangs wirst du schon gehört haben: Reinmar
der Alte , Walther von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach . Hier haben wir Heinrich
von Weißensee , der vornehmlich der Kanzler des Thüringer Landgrafen war
und erst in zweiter Linie ein Dichter. Und dies sei der großartige Heinrich von Ofterdingen . Aber widmen wir uns zunächst
diesem kleinen Kerlchen, das heute niemand mehr kennt.« Mit der freien Hand hob
er die letzte, kleinste Ratte an, dass das Flackerlicht auf ihrer schwarzen
Haut tanzte, und lächelnd sagte er: »Biterolf von Stillaha.«

Erstes Buch
    SÄNGERSTREIT

21 . DEZEMBER
SANKT THOMAS
    Möglichst edel wollte er aussehen, wenn er über die
Zugbrücke in den Hof einritt; möglichst ritterlich, wenngleich er kein Ritter
war, und möglichst sängerlich : Deshalb trug er das
Schwert an seiner Seite und die Fiedel auf seinem Rücken, obwohl es bequemer
gewesen wäre, beides am Sattel seines Pferdes zu befestigen, welches er sich im
Übrigen, aber das würde niemand erfahren, nur ausgeliehen hatte. Die Nacht
hatte er in Ruhla verbracht. Am Morgen hatte er sich mit dem Aufbruch
ausdrücklich Zeit gelassen, denn er wollte auf keinen Fall in die Verlegenheit
kommen, der erste Ankömmling am Hof des Landgrafen zu sein und dazustehen wie
der übereifrige Novize beim Gottesdienst. Statt der Reisekleider trug er heute
sein bestes Hemd und seine beste Hose, darüber den Mantel, der von der
Zikadenspange gehalten wurde. Ihn fror.
    In den Lücken zwischen den Tannen tauchte bisweilen die Wartburg
auf. Sobald sie wieder vom Wald verborgen wurde, heftete Biterolf seinen Blick
auf den matschigen Weg vor ihm, der bedeckt war von den Abdrücken der Hufe
etlicher Pferde. Er stellte sich vor, diese Rosse hätten nicht irgendjemanden
getragen, sondern Walther von der Vogelweide oder Wolfram von Eschenbach, und
er, Biterolf von Stillaha, reite gleichsam in ihren Spuren zum größten Triumph
seines Lebens. Und sei es auf einem geborgten Ackergaul.
    An einem Weiher am Fuß der Burg traf er auf ihre ersten Bewohner,
drei Männer, die ihre Reusen aus dem grauen Wasser zogen. Als sie Biterolf
sahen, grüßten sie ihn mit einer so gelungenen Mischung aus Fröhlichkeit und
Hochachtung, dass ihm Tränen in die Augen schossen. Huldvoll nickte er ihnen zu,
setzte seinen Weg fort und genoss ihr munteres Geflüster hinter seinem Rücken.
Er trieb sein Pferd das letzte steile Wegstück hoch zur Burg und dann über die
Zugbrücke. Über dem Tor hing ein Helm mit geöffnetem Visier. Im Torhaus setzte
sich der freundliche Empfang fort. Augenblicklich fand er sich von mehreren
Wachen umringt, die ihn grüßten, ihm vom Pferd halfen, ihm zu trinken anboten.
Einer von ihnen wies ihm den Weg zu den Ställen.
    Noch während er seinen Gaul an den Zügeln über den Hof führte, stellten
sich zwei Männer Biterolf in den Weg; der eine ein schlanker Kerl, nur wenig jünger
als er selbst, der andere wesentlich älter und dicker, in eine schlichte Robe
mit Pelzkragen gekleidet, mit einem schwarzen Bart um das Kinn und einem
Haarkranz um den Hinterkopf. Er ergriff Biterolfs Arm mit beiden Händen.
    »Salve hospes«
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