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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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, sprach er, »Ihr müsst Herr
Biterolf sein! Im Namen des Landgrafen willkommen auf der Wartburg! Ich bin
Heinrich von Weißensee, sein Kanzler, doch jedermann nennt mich hier nach
meiner maßgeblichen Tätigkeit schlicht den Schreiber – sei es als Notar oder als Dichter, sine intermissione
scribo  –, und solltet Ihr je eines meiner dichterischen Werke gehört
oder gelesen haben und für gut befunden, dann fügt getrost das Attribut der Tugendhafte hinzu.« An den Knaben an seiner Seite
gerichtet, sagte er: »Dies ist Biterolf aus Stillaha, der mit einem tadellosen
Gedicht über Alexander den Großen auf sich aufmerksam gemacht hat und der
zweifellos zu einem der ersten Sänger Thüringens aufsteigen wird.«
    »Ihr kennt meine Lieder?«
    »Wärst du noch hier, und Winter kalt« ,
sang der Schreiber lächelnd. »Was glaubt Ihr denn, wem Ihr die Einladung zu
verdanken habt? Lasst uns beizeiten mehr über Euer Alexanderlied sprechen. Auch
wir haben eine Abschrift davon hier, in der Bibliothek des Landgrafen, zu der
ich Euch auf Euer Begehr übrigens jederzeit Einlass verschaffe; eine wahre
Schatzkammer, die zu den umfangreichsten des Reiches gehört und Beweis ist für
die Belesenheit und den Kunstverstand unseres Landesherrn. Solltet Ihr
irgendwelche Fragen, Wünsche, Beschwerden haben, bin ich Euer Ohr dafür
beziehungsweise mein braver Adlatus Dietrich hier, in dessen Obhut ich Euch
jetzt übergebe.«
    Der Schreiber entfernte sich, drehte sich aber nach vier Schritten
noch einmal um. »Ich vergaß vollkommen zu fragen, ob Ihr eine angenehme Reise
hattet? Von allen Geladenen hattet Ihr, schätzt Euch glücklich, den kürzesten
Weg. Wie lange braucht man in die Henneberger Grafschaft, nach Schmalkalden und
ins Stilletal? Zwei Tage?«
    »Werden die Tage wieder länger, reicht auch einer.«
    »Seid Ihr unterwegs Wölfen begegnet?«
    »Wölfen? Nein.«
    »Nicht ein einziges Mal ihr Geheul vernommen?«
    »Nein.«
    »Oh, aber sie sind da draußen. Und verschmähen im Winter keinen noch
so kleinen Bissen: Lupus non curat numerum! Aber
vermutlich haben sie die Fiedel auf Eurem Rücken gesehen und Euch verschont,
weil Ihr ein Spielmann seid. – Wenigstens wäre eine Begegnung mit Wölfen dieser
Tage das kleinere Übel.«
    Schmunzelnd setzte der Schreiber seinen Weg fort. Die beiden anderen
folgten ihm langsam nach, über den Graben und durch das Tor zur Hauptburg.
    »Hattest du noch eine Frage?«, fragte Dietrich und strich dem Pferd
über die Ohren.
    Biterolf nickte. »Was denn das große Übel ist.«
    »Er meinte die Wilde Jagd «, antwortete der
Adlatus mit gesenkter Stimme, »der Zug der unzeitig und unselig Verstorbenen.
Gemeuchelte. Durch Meineid an den Galgen Gebrachte. Im Moor Ertrunkene. Ungetaufte
Kinder. Dazu Pferde und Hunde, mitunter Wolfsmenschen, die mit einem
fürchterlichen Ächzen und Heulen durch die Nacht ziehen. In dieser Gegend ist
man diesbezüglich besonders wachsam, musst du wissen: Die Anführerin des Wilden
Heeres, die Frau Hulde, wohnt drüben in den Hörselbergen, knapp drei Stunden
von hier. Jeden Abend beginnt und jeden Morgen endet dort die Prozession der
wilden Geister. Zieht sie westwärts, liegt die Wartburg genau auf ihrer Bahn.«
    »Glaubst du daran?«
    »Beinahe jeder auf dieser Burg tut es. Was meinst du, wie sich das
Gesinde in den letzten Wochen eingedeckt hat mit Kerzen, Wacholder und
Weihwasser? Kaum eine Kammer, die nicht vorsorglich ausgeräuchert und mit
Weihwasser besprengt wurde, kaum eine Tür, in die nicht Zapfen aus Ahorn
eingeschlagen wurden, um die Dämonen fernzuhalten. Und sobald es dunkel wird,
traut sich niemand mehr nach draußen, schon gar nicht ohne Begleitung – du
hättest den Burghof gestern Nacht sehen sollen: wie ausgestorben! –, um
keinesfalls der Hulden und ihren armen Seelen zu begegnen. Denn wer ihr
begegnet, der ist verdammt, sich bis in alle Ewigkeit dem Geisterheer
anzuschließen. Es sei denn, er findet Gnade. Dann begnügt sich die Zauberin
damit, ihm das Augenlicht auszublasen. Wie zwei Kerzenflammen.« Dietrich
streckte Zeige- und Mittelfinger aus und blies über die Kuppen. »Aber sprich bloß
niemanden darauf an. Man redet nicht gerne darüber – aus Angst, sie zu rufen.«
    »Ich verstehe. Aber glaubst du denn daran?«
    »Ich sollte. Wer nicht an die Wilde Jagd glaubt, den holt sie
zuerst.«
    »Also glaubst du daran?«
    »Natürlich nicht«, antwortete Dietrich und lachte. »Kinderschreck
und Ammenmärchen! Ich bin froh, wenn Neujahr ist
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