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Krieg der Sänger

Krieg der Sänger

Titel: Krieg der Sänger
Autoren: Robert Löhr
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der alten und der neuen Lehre greifen zu
den Waffen, wenn die Worte versagen.«
    »Du lügst! Du bist der Gott der Lügen.«
    »Ich bin nichts dergleichen!«, erwiderte der Teufel lachend. »Glaub
mir: Ich kann gar nicht lügen. Gott hat mich so
geschaffen. Habe ich Jesus jemals belogen? Das habe ich nicht; du kannst es
nachlesen. Schon Eva habe ich nichts als die Wahrheit gesagt, als sie unter dem
Baum der Erkenntnis stand. Denn es tut gar nicht not zu lügen: Von der Wahrheit
lassen sich die Menschen viel leichter überzeugen. Du solltest das am besten
wissen. – Also brich dein Werk ab, und wirf, was du bis jetzt geschrieben hast,
ins Feuer. Du hast kaum den ersten Evangelisten begonnen; noch hast du kaum
Zeit verloren, und deine Tinte ist eh hin – begrabe also einfach dein
prometheisches Vorhaben, die Bibel ins Deutsche zu übersetzen.«
    »Das werde ich nicht tun. Hier wurde es begonnen, hier wird es
vollendet. Dieses Buch verdient, in allen Sprachen, Händen, Augen, Ohren und
Herzen zu sein. Und es wird die Deutschen nicht trennen, wie du sagst, es wird
sie vielmehr ein für alle Mal vereinen: eine Bibel, eine Sprache, ein Volk. Der
Wartburg war seit alters vorherbestimmt, Wiege einer deutschen Sprache zu sein. Ich führe zu Ende, was andere angefangen.«
    »Wovon redest du?«
    »Vor mehr als drei Jahrhunderten, zur Zeit der Staufer, als
Deutschland zerrissen war vom Krieg um den Thron, haben sich aus allen Ecken
des Reiches die bedeutendsten Dichter hier in Thüringen unter der Ägide eines
kultivierten Herrschers versammelt, um gemeinsam eine einheitliche Sprache zu
erschaffen, die alle Dialekte überwindet.«
    Statt einer Antwort schmunzelte der Teufel stumm in sich hinein.
    »Was ist daran so komisch?«, fragte Luther grimmig.
    »Du redest vom Sängerkrieg.«
    »Ein Krieg? Nein, ich rede von einem Gipfel der Sänger.«
    »Es war ein Krieg. Ein Hauen und Stechen.
Von Einheit keine Spur. Morde aus niedrigen Motiven. Menschliche Abgründe. Du
würdest verzweifeln. Aber wenn das dein Vorbild ist, trittst du in der Tat in
die blutigen Fußstapfen einer Tradition. Allerdings wird dein Beitrag deutlich
mehr Opfer fordern als damals der Sängerkrieg.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Ungläubiger Thomas! In der Kapelle nebenan wurde damals, um dir nur
ein Beispiel zu nennen, ein Unschuldiger im Taufbecken ersäuft – und das obendrein
in der Heiligen Nacht!«
    »Kein Christ würde etwas derart Unmenschliches tun.«
    » Unmenschlich? Der Mensch ist böse,
Luther. Sicherlich braucht es manchmal eine kleine Verführung … aber das Übel
selbst begeht er ganz ohne meine Hilfe.«
    Luther schüttelte fortwährend den Kopf. »Ich glaube es noch immer
nicht. Was sollte damals geschehen sein?«
    »Ich bin nicht hier, um dir Geschichtchen zu erzählen«, sagte der
Teufel und wies auf Luthers Pult. »Deswegen bin ich hier.«
    Luther betrachtete für einen Moment Federn, Papier und Bibeln; die
Worte Matthäus’ in der Sprache der Griechen, der Römer und seiner eigenen. »Ich
will, wie du verlangst, mein angefangenes Werk im Ofen verbrennen«, sagte er
zögerlich, »wenn deine Erzählung vom Treffen der Sänger mich tatsächlich von
der Bosheit des Menschen und der Nichtigkeit meines Tuns überzeugt. An der ich,
wie du sagst, verzweifle.«
    »Du forderst allen Ernstes den Teufel heraus?«
    »Ich bin stark genug.«
    »Mutig genug bist du. Ob du stark genug bist, werden wir sehen.«
    Jeder nahm sich nun einen Stuhl und schob ihn, mit Fellen und Decken
behangen, an den Ofen. Der Teufel, nachdem er es sich auf seinem Sitz behaglich
gemacht hatte, schien sich nun doch mit dem Gedanken angefreundet zu haben,
dass man die Thomasnacht wie so viele andere im Land wachend mit einer langen
Erzählung vor dem Feuer verbrachte. Auf seine Bitte holte Luther das Säckchen
mit den Haselnüssen hervor, um währenddessen von ihnen zu naschen.
    »Unsere Geschichte beginnt auf den Tag genau im Jahr 1206«, hob der
Teufel an, »am Vorabend der Thomasnacht, natürlich, der ersten der sagenumwobenen
Zwölf Nächte, jener düsteren Zeit, in der das alte Jahr schon geendet, das neue
aber noch nicht begonnen hat.«
    »Ja, ja, genug der Einstimmung. Fang an.«
    »Geduld. Vorneweg noch ein Prolog, in dem ich dir die Hauptfiguren
des Sängerkrieges vorstelle.«
    Der Teufel schlug das Fell über seinem Schoß zur Seite und erhob
sich noch einmal von seinem Stuhl. Neben der Wand zur Linken ging er in die
Knie, bog ein Paneel der Holzvertäfelung, die
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