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Liebe stand nicht auf dem Plan

Liebe stand nicht auf dem Plan

Titel: Liebe stand nicht auf dem Plan
Autoren: Elisabeth Rapp
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01
Cleaning up the Club, it’s a lot to scrub
    Wo ist der Schlüssel? Nora kann ihn nicht finden. Hektisch sucht sie sämtliche Hosen- und Jackentaschen ab. Da ist er nicht. Dann wühlt sie noch einmal in der prallvollen Umhängetasche. Ihr gesamter Tagesbedarf steckt da drin, nach persönlichen Bedürfnissen geordnet und dadurch unübersichtlich. Sie gibt auf und starrt auf die geschlossene Tür. Darüber steht SOUND CLUB in Neonbuchstaben. SO leuchtet knallrot, UND einen Ton dunkler, CLUB gar nicht mehr. Werfeiern will, findet ihn auch so, und weil er versteckt im Hinterhof liegt, halten ihn sehr viele für ihre Entdeckung. Seit Jahren gilt er als Geheimtipp der Undergroundszene. Für Nora ist er der Ort auf Erden mit dem besten Sound überhaupt, wenigstens meistens. Es ist ihr Club! Sie hat den Schlüssel dazu – daheim, irgendwo. Knock, knock, knockin’ on heaven’s door. Sie wummert gegen die Stahltür, halbherzig, weil sie weiß, dass es nichts bringt, sie aber unbedingt reinmuss. Sie ist nämlich die Putzkraft, die den Dreck vom Dancefloor abkratzt. Fünfmal die Woche zwei Stunden, vierhundert Euro aufs Konto und in jedes Konzert umsonst rein – das ist genial! Es würde die Erwartungen an ihre häusliche Mitarbeit ins komplett Absurde steigern, hätte ihre Mutter eine Ahnung davon, wie sehr sie
diesen Putzjob liebt. Und genau deshalb muss sie jetzt da rein. Knock, knock, knockin’ off every door. Ihr Arbeitgeber, Leif Borg, der Besitzer von IHREM Club, hat seine 400-Euro-Jobber für sieben Uhr, also in zwei Stunden, zum Meeting bestellt. Meeting! So was hat’s noch nie gegeben. Was will er? Muss sie ihren Schlüssel abgeben? Tut mir leid, kann ihn nicht rausrücken, hab ihn … verloren. Es ist finster für Mitte Mai, sonst würde sie den Tascheninhalt einfach auf den Boden kippen und noch mal suchen. Aber direkt über Nora in dem winzigen Ausschnitt Himmel zwischen den Häuserblocks sind grauschwarze Wolken kurz davor, ihre Wasserladung genau über ihr auszuschütten. Windböen wehen Zigarettenschachteln, Pappbecher und eine Bierdose vor ihre Füße. Sie zieht die Schultern hoch und wartet auf Mehmet, die andere Hälfte der Destructive-Pressure-Putzgang.
    Kurz vorm Wolkenbruch scheppert sein Rad über das Kopfsteinpflaster. Er schafft es haarscharf an den Mülltonnen vorbei und kommt eine Armlänge vor ihr zum Stehen. Unter seiner Sturmfrisur grinst er sie an, springt vom Rad und sagt: »Nach dem Club ist vor dem Club.« Mehmets Motto, Nora kennt es.
    Sie weiß auch, was als Nächstes kommt, und kickt die Dose weg.
    »Warum bist du nicht im Club?« Mit niederträchtiger Betonung auf im. Mehmet legt den Kopf schief und schüttelt sein Öger-Tours -Schlüsselband.
    Niemals würde sie sich ein Band mit Schlüsseln dran um den Hals hängen, selbst wenn sie ihr restliches Leben vor verschlossenen Türen zubringen müsste.
    Er sagt: »Schließ auf!«
    Sie kickt stattdessen einen Pappbecher gegen seine Wade.
    »Die Runde geht an mich«, kommentiert er ungerührt. Damit spielt er auf ihre Wette an, dass Nora nie mehr den Schlüssel vergessen
wird. Er hat dagegengehalten. Es fängt an zu schütten, und Mehmet schließt endlich die Tür auf. »Hast du wenigstens an meine CD gedacht?«
    Nora schlägt die vertraute verbrauchte schlechte Luft entgegen. Seit sechs Jahren kennen sie sich, seit zehn Monaten putzen sie zusammen. Sie sind ein eingespieltes Team, und Mehmet weiß genau, dass Nora nie eine Musikbestellung vergisst. Egal was, egal wie schwierig, sie liefert das Gewünschte. »Zehn Obertongesänge, ohne Instrumentalbegleitung. Klingt abgefahren.« Sie legt die CD neben ihren Rucksack auf die Bar-Theke.
    »Abgefahren und umsonst«, grinst Mehmet. Hätte er wider Erwarten verloren, wären fünf Euro fällig gewesen, Noras Festpreis für Musikdownloads auf CD, und er hätte beide Lokusse putzen müssen, ohne Gemecker. Er will vorschlagen, die Wette weiterlaufen zu lassen, aber sie ist weg.
    In Rekordgeschwindigkeit sammelt sie Flaschen und Gläser ein. Noch bevor Mehmet sich für die passende Putzmusik entschieden hat, läuft die Geschirrspülmaschine. Der Kampfzwerg, wie er Nora nennt, ist in voller Aktion, als ein Donnerschlag den Club erzittern lässt.
    Nora steht mit dem Besen mitten im Raum, bewegt sich nicht und lauscht dem Grollen nach. Dann lächelt sie. Nirgendwo fühlt sie sich sicherer als hinter diesen dicken Wänden. Hier schleudern DJs Blitze, schreddern Tunes und lassen Bässe explodieren. Und
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