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0146 - Höllenfahrt im Todesstollen

0146 - Höllenfahrt im Todesstollen

Titel: 0146 - Höllenfahrt im Todesstollen
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Die kleine Ortschaft in den Bergen nördlich von Cardiff hieß Chattering. Nur 500 Seelen wohnten in dieser Gemeinde. Trotzdem gab es hier eine Schule, ein kleines Gemeindehaus, eine uralte Kirche und unweit davon einen unscheinbaren Friedhof.
    Carlo Cotterill war in diesem Dorf gewissermaßen Mädchen für alles. Er half der Hebamme, die Kinder zur Welt zu bringen. Er arbeitete im Gemeindeamt als Heizer und Bürodiener. Und er übte darüber hinaus auch die Funktionen des Friedhofswärters und Totengräbers aus. Ein arbeitsreiches Leben.
    Aber Arbeit hatte Carlo Cotterill noch nie gestört. Er liebte es, tüchtig zuzupacken.
    Es gefiel ihm, gebraucht zu werden, und nicht erst einmal hatte der Bürgermeister, Mr. Gilbert Gember, betont: »Carlo, um dieses Dorf wäre es schlecht bestellt, wenn es dich nicht gäbe. Wir wüssten nicht, wie wir ohne dich auskommen sollten.«
    Diese Art von Bauchpinseleien ließ sich Cotterill gern gefallen. Wer ist nicht gern eine anerkannt wichtige Persönlichkeit - selbst wenn sich diese Wichtigkeit lediglich auf den kleinen Rahmen von Chattering beschränkt.
    Gesuche, die einem am Herzen lagen, trug man nicht einfach ins Büro des Bürgermeisters. Man brachte sie lieber zu Carlo Cotteril und versuchte, dessen Fürsprache zu gewinnen.
    Da bekannt war, dass er kein Geld für solche Gefälligkeiten nahm, brachte man ihm Wein, Schnaps, geräucherten Landspeck - man bezahlte ihn in Naturalien, und dagegen hatte er nichts einzuwenden.
    Bevor er an diesem beginnenden Abend sein Haus verließ, öffnete er noch rasch den alten Kirschholzschrank in der guten Stube und goss sich einen Klaren ein.
    »Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren«, murmelte er. »Schließlich muss man sich gegen die Kälte auch innerlich wappnen.«
    Er schüttete den Schnaps in seine Kehle, zog anschließend seinen Mantel an und löschte das Licht.
    Cotterill war 55, aber er sah älter aus. Sein Haar - einstmals rot - war weiß geworden. Die Falten um die Augen waren so tief wie bei einem 70jährigen, und an seiner gekrümmten Haltung erkannten ihn auch jene im Dorf, die nicht mehr so gut sahen.
    Vor dem Haus wickelte er den grauen Wollschal um seinen Hals. Mit einem verdrossenen Blick schaute er zum düsteren Himmel hoch. Wenn die Wolken dort oben das ausschütteten, was sie mit sich trugen, würde Chattering im Schnee ersticken.
    »Hoffentlich werfen sie es woanders ab«, brummte Cotterill und stapfte los.
    Der Friedhof war nicht weit von seinem Haus entfernt. Eigentlich war es nicht nötig, dass Cotterill sich dort umsah, denn auf dem Gottesacker änderte sich nichts.
    Aber Carlo Cotterill war ein gewissenhafter Mann, der selbst die Wache über die Toten ernst nahm. Deshalb bezog er seinen Friedhofsbesuch in den alltäglichen Rundgang, der immer im Dorfgasthaus endete, mit ein.
    Als er das Friedhofstor erreichte, stutzte er. Stand dort im Dämmer nicht eine Gestalt? Sie war halb von hohen Grabsteinen verdeckt.
    Cotterill sah genauer hin, konnte aber nur feststellen, dass es eine rothaarige Frau war.
    In ganz Chattering gab es keine Rothaarige, das hätte Carlo Cotterill mit Sicherheit gewusst.
    Die Besucherin musste eine Fremde sein, und es setzte Carlo Cotterill in einiges Erstaunen, dass die Frau ohne Fahrzeug unterwegs war.
    Nirgendwo stand ein Wagen. Wie war sie hergekommen? Zu Fuß? Eine von Cotterills Schwächen war seine Neugier. Er besaß einen kaum stillbaren Wissensdurst, und er wäre vor Neugierde zerplatzt, wenn er nicht erfahren hätte, wer diese Frau war.
    Er betrat den Friedhof und näherte sich der Fremden. Sie trug ein dünnes schwarzes Gewand. Bei dieser Kälte. Es hatte mindestens zehn Grad unter Null.
    Sie wird sich eine Lungenentzündung holen! dachte Cotterill. Wie kann man nur so dumm sein, so wenig bei diesen niedrigen Temperaturen anzuziehen?
    Er ging schneller. Seine wadenhohen Pelzstiefel knirschten auf dem geharkten Kiesweg. Die Rothaarige hob soeben ihre Arme, als wollte sie den Himmel beschwören.
    Die Schrittgeräusche veranlassten sie, den Kopf zu wenden. Carlo Cotterill blieb abrupt stehen. Er hatte das Gefühl, mit seinen Augen wäre etwas nicht in Ordnung.
    Ein eiskalter Schauer rieselte ihm über den Rücken. Er schüttelte verdattert den Kopf. »Das gibt's doch nicht!« stammelte er. »Das ist unmöglich!«
    Noch nie war ihm aufgefallen, dass er einen Sehfehler hatte. Aber in diesem Moment zweifelte er doch stark daran, dass seine Augen noch richtig funktionierten.
    Oder
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