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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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nämlich in der Mechanik seiner täglichen Routinen und Zwänge. Ich war für ihn gefährlicher als alle anderen, weil zum Beispiel die Auseinandersetzungen mit seiner Familiepraktisch schon beendet waren und nur mehr eine Art Grabenkampf mit geringem Einsatz geführt wurde. Zwischen uns aber ging es aufs Ganze. Und ich liebte ihn und er liebte mich. Ich weiß natürlich nicht, was beim Pfarrer geschah. Der Vergeiner, der mich immer so schmutzig anschaute, wenn ich allein in seinem Geschäft war, erzählte mir von abenteuerlichen Gerüchten.«
    Sie sprach jetzt auf eine sonderbar fiebrige Weise, als sei sie nicht klar bei Bewusstsein. Sie schloss die Augen und atmete ein paarmal tief durch.
    »Der Reihe nach. Franz hatte sich in der Person des Pfarrers einen Verbündeten geschaffen und wurde jetzt sehr religiös. Er betete abends vor dem Schlafengehen und er betete morgens nach dem Aufstehen. Vor diesem Kreuz hier warf er sich manchmal regelrecht auf die Knie und flehte und flehte inständig um irgendetwas. Er schien ungeheuer verzweifelt, nur seine Gebete gaben ihm eine Art von starrer Gefasstheit. Wir lebten jetzt reibungslos aneinander vorbei, es gab keine Zusammenstöße mehr. Er schien mein Handeln nicht mehr zu überwachen und ich war frei, aber je freier ich war, desto unausgefüllter und desto schuldiger fühlte ich mich auch. Es gibt angeblich diese Fische, die tief unten im Meer wohnen und einen gewissen Druck brauchen, damit sie leben können, und wenn sie zu weit auftauchen, in seichtere Gewässer, wo weniger Druck auf ihnen lastet, dann platzen sie, weil der Gegendruck, den sie gewohnheitsmäßig entwickeln, keinen Halt mehr hat. Das ist gefährlich. War das seine Taktik, dass er mir jetzt Raum ließ, allen Raum ließ, der da war, nur damit ich mich darin verlief und verrückt wurde? Mir war klar, dass auch ich mich von dem Schlachtfeld, auf dem nicht mehr gekämpft wurde, vom Haus, ablenken musste. Und ich geriet an die Mühlbacherin. Ich hatte nicht die Absicht, mir eine Verbündete zu suchen, die ich gegen Franz einsetzen konnte, nein, ich wollte mich von unserer häuslichen Lage ablenken. Eigentlich hoffte ich, dass unser Konflikt irgendwann einschlafen würde und dass wir dann behutsam und vorsichtig ein neues und ganz anderes Leben anfangen könnten. Denn: wir waren verheiratet, daran war nicht zu rütteln. Wir mussten zusammenbleiben. Die Mühlbacherin kam jeden Tag an unserem Haus vorbei, um in den Wald zu gehen, und eines Tages passte ich sie ab und fragte, ob sie mich mitnähme. Sie schaute unwirsch und böse herüber und nickte mit dem Kopf. Wir gingen und redeten nichts, aber mit jemandem zusammen zu sein, tat mir gut. Besonders zu einer älteren Frau zog es mich hin, durch ihre bloße Gegenwart schien sie eine Last von meiner Seele zu nehmen, und ich hatte ein Gefühl von Unbeschwertheit, wie ein Kind, das neben seiner Mutter geht. Und die Mühlbacherin: sie war gar nicht so hart, wollte nur aus Angst hart scheinen, während sich in ihrem Inneren überfließende Güte staute, die nicht wusste, wohin sie sollte. Sie redete wenig und wir schlössen schweigend Freundschaft. Franz ging zum Pfarrer und ich verband mich mit der Mühlbacherin. Das lenkte uns voneinander ab, sodass die Feindseligkeit zwischen uns abnahm, verschwinden konnte sie natürlich nicht. Wann immer wir versuchten, miteinander zu sprechen, zum Beispiel beim Frühstück, kamen wir bald ins Stocken und die Blicke, die wir aufeinander richteten, wurden, sobald sich unsere Augen begegneten, spitz undstechend, ohne dass irgendetwas vorgefallen wäre. Es war wie verhext! Was die Mühlbacherin betrifft, so hatte ich Vertrauen zu ihr gefasst, weil ich sie für eine unbeteiligte Dritte hielt. Aber weißt du, was mir immer klarer wurde, je besser ich sie kennenlernte: dass auch sie ihn hasste, dass sie Franz noch mehr hasste als ich selbst und auf eine andere Weise. Aber sie hat von diesem Hass nie gesprochen, sie hat Franz nie erwähnt und nie irgendeine Bemerkung gemacht zu dem, was ich über Franz gesagt habe. Und doch, wann immer die Rede auf Franz kam, bemerkte ich eine Verfinsterung in ihrer Miene und gleichzeitig eine Verlegenheit, die ich nicht verstand. Zuerst dachte ich, sie wollte vielleicht weibliches Mitgefühl mit den Qualen einer Ehefrau andeuten, dann dachte ich, sie wäre vielleicht eifersüchtig auf Franz, weil sie mich so lieb gewonnen hatte und weil ich ihre einzige Freundin war. Aber diese Erklärungen waren
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