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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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Bescheid. Sie erzählte mir diese Geschichte und jetzt verstand ich sie. Und ich verstand nicht nur, was sie Franz gegenüber fühlen musste, der am selben Tag wie -« Sie stockte.
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ihr Kind wurde am selben Tag wie Franz geboren. Nur eines weiß ich noch immer nicht: War es ein Bub oder ein Mädchen?«
    »Ich weiß es nicht. Vieles ist verschwommen und unklar. Wie auch immer, ich verstand nicht nur, was die Mühlbacherin Franz gegenüber fühlen musste, ich fühlte das Gleiche, und mir schien, dass Franz an der Stelle von jemand anderem lebte. Ich betrachtete ihn jetzt mehr von außen, von weit weg und nicht mehr als Ehefrau. Und weißt du was? Schlagartig wurde mir klar, warum Franz so unglücklich war, nur unglücklich sein konnte. Auf seinem Rücken war eine schwere Hypothek eingetragen und sie lastete und lastete. Die Regulierung, die totale Regulierung seines Lebens war von dieser Hypothek diktiert. Über ihn schien ein Spruch verhängt, der ungefähr so lautete: >Wenn du schon lebst, dann musst du doch so leben, als lebtest du nicht. Du darfst niemals wirklich werden, für dich soll es nur Zwecke, Regeln und Funktionen geben.< Als ich das verstand, spätabends im Ehebett liegend, vor Angst zitternd, dass er wieder über mich herfallen könnte, tat er mir fast leid. Ich fasste den Entschluss, aufzustehen, das Licht anzuschalten und ihm zu erklären, was ich ver-standen hatte. Aber ich hatte Angst, ihn aufzuwecken, und verschob mein Vorhaben auf den nächsten Tag. Die ganze Nacht dachte ich darüber nach, wie ich ihm seinen Fluch erklären könnte, ohne dass er so eine Erklärung als perfide Maßnahme, als weitere Unterminierung seiner Existenz verstehen würde. Dann hasste ich ihn wieder, grenzenlos und mit aller Gewalt, deren ich nur fähig war. Und doch, wenn es irgendwie möglich wäre, dass ich mich ihm verständlich machte, dann könnten wir vielleicht ein neues Leben beginnen, dachte ich. Ein unvorstellbar schönes Leben, das so verlief wie die Stunden, als er mich zum ersten Mal ausgeführt hatte, wie jener orangegelbe Sommerabend, an dem wir nebeneinander durch die Straßen gegangen waren. So, immer und nur so. Ich taumelte in jener Nacht durch Gedanken und Träume, bis ich erschöpft und schwer geworden erwachte. Ich hatte Fieber und es musste hoch sein, denn es kostete viel Kraft, mich auch nur im Bett aufzurichten. Wie angenehm, war mein erster Gedanke. Ich blieb liegen. Irgendwann erschien ein Mann an meinem Bett, der sich als Arzt vorstellte. Er hatte sehr saubere und kühle Finger. Die Fingernägel waren so schön geschnitten, dass ihr schmaler weißer Rand an einen lächelnden Mund erinnerte. Er sagte, dass es die Nerven waren, einen anderen Krankheitsherd konnte er nicht ausmachen. Ich bräuchte viel Ruhe, sagte er, und ich begann lange und ausgiebig zu schlafen, mehrere Tage lang. Dann wurde es wärmer. Der Winter schien zu Ende zu gehen, morgens hörte man wieder die Vögel zwitschern. Auch der Schnee war beinah zur Gänze verschwunden. Und es bestand die eigentümliche Situation, dass Franz untertags nun nicht arbeitete, sondernzu Hause war. Die Rollenverteilung war klar und einfach. Ich war krank und lag im Bett, er war gesund und pflegte mich. Nachdem er mir mein Frühstück gebracht hatte, verließ er das Haus und ging in seinen Wald. Und obwohl ich gern krank war, weil ich nie so vernünftig und richtig handelte wie im Krankenstand, wo liegen, schlafen und träumen das war, was ich tun musste, wurde ich schließlich gesund und bekam Lust, wieder einmal die Welt draußen zu sehen, die Mühlbacherin, die ich, seit Franz mich betreute, nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, aber auch den Wald und den Himmel und die Sonne. Ich wusste natürlich, dass da eine schwierige Lage auf mich wartete, und als ich das erste Mal wieder aufstand und vorsichtig auf den Balkon trat und hinausschaute in die Bergwelt, da war ich einerseits zu Tränen gerührt von dieser Schönheit, andererseits wusste ich, dass es auch andere Gründe dafür geben musste, dass meine Tränen so leicht aus mir herauskamen und über meine Wangen rannen. Aber über diese Gründe konnte ich nicht nachdenken, sie lagen dunkel in mir drinnen und ein Gefühl von Ausweglosigkeit stieg von ihnen auf. Dann kam dieser Tag.«
    Jetzt riss ihre Rede ab, sie starrte zu Boden und sagte nichts mehr. Ich schenkte Schnaps nach und reichte ihr das Glas, ohne es vor ihr abzustellen. Sie trank den Schnaps und atmete
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