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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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mit seinem Herrschaftsanspruch in die Schranken verwies, geriet ich meinerseits in Gefahr, mich zu über- und seine Beharrungskraft zu unterschätzen. Um im Bild zu bleiben: Leicht bricht ein Aufstand los und setzt ein ganzes Reich in Brand, aber wer kennt die Tiefe der Verankerung der Herrschaft im Boden des Reiches und die Gewalt und Grausamkeit, mit der Vergeltung geübt wird, wenn erst einmal das Pendel nach der anderen Richtung ausschlägt? Noch war es nicht so weit. Noch wagte ich mich einen Schritt weiter vor. Ich fing an, ihn zu sabotieren. Erst verdeckt und dann offen. Ich zerriss etwa die Stromrechnung, nachdem sie mir vom Postboten übergeben worden war, sodass ein paar Wochen später ein Mahnschreiben eintraf, das nicht nur die Bezahlung der ursprünglichen Rechnung einforderte, sondern darüber hinaus eine >Mahngebühr< verhängte. Eine Unregelmäßigkeit und Entehrung, die in Franz die Angst schürte, schon bald Gegenstand staatlicher Zwangsmaßnahmen, wie etwa der Exekution oder der Beugehaft, zu werden. Besonders verunsicherte ihn dabei, dass ihn keinerlei Schuld traf: Er hatte ja die ursprüngliche Rechnung nie zu Gesicht bekommen. War nicht der Postbote ein alter Freund seines Vaters, vor dem er wie vor nichts sonstauf der Welt Angst hatte? Zettelte sein Vater, der immer noch der mächtigste Mann im Dorf war, eine Verschwörung gegen ihn an? War der Waffenstillstand, der seit seinem Auszug aus dem väterlichen Hof gehalten hatte, gebrochen? Es konnte nur ich sein, die ihn in Gefahr brachte, schien er zu denken, als er mich scharf musterte. >Was hast du getan ?<, schien er fragen zu wollen, aber er sagte nichts. Ein andermal räumte ich nach dem Abendessen, das er jetzt immer allein einnahm, den Tisch ab und ließ alles Geschirr auf dem Weg zum Spülbecken zu Boden fallen. Ich ließ es einfach fallen, als hätte ich für möglich gehalten, es auf einer bloßen Luftsäule abzustellen, und drehte mich langsam um, damit ich sein Gesicht sehen konnte. Erst nachdem sich unsere Blicke getroffen hatten, setzte ich eine Miene des Bedauerns auf. Dass dieses Bedauern so offensichtlich nur gespielt war, ließ ihn erstarren. So verhöhnt hatte ich ihn noch nie. Er schluckte mehrmals und senkte langsam den Blick auf das zerbrochene Geschirr. In diesem Moment schien er sich darüber klar zu werden, dass es Zeit wurde zur Gegenwehr, wollte er nicht untergehen im eigenen Haus. Dieser Abend wurde für ihn sehr, sehr lang. Er blieb auf seinem Stuhl sitzen. Als ich schlafen ging, saß er immer noch da und ich spürte, dass es Bewegung und Aufruhr gab in seinen verstümmelten und kranken Gefühlen und Gedanken. Sein Wesen war unbeweglich und starr, aber langsam schien auch er zu begreifen, dass sich die Lage verändert hatte. Nicht er war es mehr, der hier bestimmte, sondern ich tat, was ich wollte. Am nächsten Abend kam er gar nicht nach Hause. Sosehr ich ihn zu hassen begonnen hatte, seine Abwesenheit verunsicherte mich. Zunächst war ichfroh, dass er nicht kam, weil sein Kommen immer das Ende meiner täglichen Unbefangenheit und den Beginn der Gespanntheit, der Wachsamkeit angezeigt hatte. Andererseits schien es aber auch so zu sein, dass meine Freiheit weniger wert wurde, wenn ich sie nicht gegen ihn, meinen Feind, behauptete. Ich spürte, dass er etwas im Schilde führte, dass sich etwas anbahnte. Aber ich erfuhr zunächst nicht, was es war. Wochenlang blieb er jetzt abends lange aus und kehrte erst spät ins Haus zurück, um sich dann sofort und wortlos schlafen zu legen. Dieser Boykott machte mir klar, dass ich ihn immer noch liebte. Ich liebte ihn wirklich. Und weißt du, wohin er sich in dieser Zeit gewandt hat?«
    Ich nickte.
    »Ja, er ist zum Pfarrer gegangen. Der Vergeiner hat mir das gesagt, dass der Franz jetzt jeden Abend zum Pfarrer läuft, nicht ohne Hohn und nicht ohne Anzüglichkeit hat er das gesagt. Was hatte das zu bedeuten? Heute ist es mir klar. Er brauchte Halt. Erst heute verstehe ich, wie entsetzlich damals seine Lage gewesen sein muss. Sein Haus war für ihn eine Art Festung gewesen, der einzige Ort, an dem er keine Angst haben musste. Draußen war nur Feindschaft und Arbeit. Und die Hoffnung, dass er durch unsere Heirat die Besatzung seiner Verteidigungsstellung verstärken und sich gleichzeitig das Leben in ihr versüßen könnte, sie erwies sich als bitter falsch. Ich entpuppte mich als ein Feind im Innern, der seine Existenz dort angriff, wo er sie am geschütztesten geglaubt hatte,
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