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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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mit ihm. Ob ich mit ihm einen Kuchen essen gehen wollte, in ein Kaffeehaus, fragte er. Es war ein Sommerabend. In manche der Straßen schien noch schräg die Sonne hinein. Sie stand ganz nah und groß über den Häusern. Der Himmel war türkisblau und die Luft so klar. Die Klänge und die Farben, sogar die Flügelschläge der Tauben, alles hatte eine freundliche Eindringlichkeit. Viele junge Leute waren auf den Straßen unterwegs, paarweise, sie schienen alle in die gleiche Richtung zu einem gemeinsamen Fest zu strömen. Und ich war nicht anders als die anderen, auch ich ging jetzt langsam und fühlte eine Ausgelassenheit in den Gliedern, die mich an früheste Kindheitstage erinnerte und die ich längst vergessen hatte. Neben mir ging Franz, und dieses Nebeneinandergehen war neu für mich. Wir setzten uns in ein großes Kaffeehaus mit vielen Lustern. Ich war auf dem Weg zum Bahnhof immer nur daran vorbeigegangen und hatte durch die Fenster flüchtige Blicke geworfen, durch jedes Fenster, an dem ich vorbeigekommen war, einen schnellen Blick. Der ganze Raum war von einemweichen Geräusch ausgefüllt, zu dem sich die Gespräche der Besucher vermischt hatten. Sie saßen um die kleinen runden Tische, steckten die Köpfe zusammen und redeten. Ab und zu stach irgendwo ein Gelächter hervor, begleitet von einem aufblitzenden Mund, aber sonst redeten alle nur immerfort. Konnte es überhaupt so viel zu reden geben? Die kurze Zeit, die wir hatten, bis zu den letzten Pendlerzügen, verging nur mit Schauen. Ein paar Tage später kamen wir wieder und dann noch einmal. Dreimal trafen wir uns so, als mich meine Mutter auch schon zur Rede stellte. Warum ich so spät nach Hause käme. Ich traute mich nicht, sie anzulügen, und sagte nichts. Ob ich etwas mit einem Mann angefangen hätte. Sie schlug mich nicht, nein, das tat sie nie, aber sie legte ihre beiden Hände mit den spitzen Fingernägeln um meine Oberarme und drückte so fest zu, dass sie mit den Fingernägeln bis zu den Knochen durchdrang, und dann schüttelte sie mich und fragte immer wieder: >Hast du etwas mit einem Mann angefangen, hast du etwas mit einem Mann angefangen, hast du etwas mit einem Mann angefangen, sag, red, sag, sag< und so weiter. Und es stellte sich heraus, dass sie schon von Franz gehört hatte. Jemand vom Dorf, der auch in der Post arbeitete, hatte ihr erzählt, dass da manchmal einer nach der Arbeit auf mich wartete. Ich gestand, sie ließ kurz locker, um mich dann wieder zu packen. >Ist schon was passiert?< Ich wusste im ersten Moment gar nicht, was sie meinte, und wieder packte sie fester zu und begann, mich hin und her zu schütteln. Es tat mir gar nicht mehr weh, aber ich hatte Angst, weil meine Mutter außer sich war, sie schien nicht mehr zu wissen, was sie tat. Irgendwann gelang es mir, ihr klarzuma-chen, dass noch nichts passiert war. Und sie ließ ab von mir, setzte sich, schnaufte und beruhigte sich langsam. >Das sag ich dir, von dir lass ich mir den guten Ruf nicht kaputt machen.< Und dann: >Bring ihn her.< Sie verbot mir, ihn irgendwo anders als hier im Haus zu treffen. Sie nannte einen Tag, an dem sie Franz abends um halb sieben erwartete. Als ich Franz das sagte, nickte er nachdenklich, als ahnte er, was das zu bedeuten hatte. An dem Abend wurden keine langen Freundlichkeiten ausgetauscht. Meine Mutter tat so, als hätte Franz sie in ihrer Ehre gekränkt. Es war ruhig im Raum, nur die alte Uhr tickte, und irgendwann sagte sie, entweder er würde mich heiraten oder in Ruhe lassen. Das war für uns beide ein Schock. Wir hatten noch Zeit, miteinander zu reden, als ich Franz nach dem Abendessen zum Bahnhof begleitete. Aber es fiel uns schwer, etwas zu sagen. Wir kannten uns kaum, Franz war mindestens so schüchtern wie ich selbst, und wir hatten noch gar nicht so richtig entschieden, ob wir uns überhaupt näher kennenlernen wollten. Auf dem Weg zum Bahnhof schauten wir uns an wie zwei Kinder, die bei einem Streich erwischt worden sind. Ich fragte ihn, was er tun würde, er zuckte mit den Schultern. Jetzt waren wir dadurch miteinander verbunden, dass wir ein gemeinsames Problem hatten. Und eigentlich kann ich es heute noch nicht so recht glauben: Ungefähr zwei Monate später waren wir verheiratet. Ich verließ mein Dorf und kam hierher, zu Franz. Das war alles sehr umständlich und verging doch wie im Flug. Es war ganz unwirklich. Die Wirklichkeit begann erst wieder, als ich hier heroben in diesem Haus saß. Franz wollte, dass ich mit dem
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