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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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das Gefühl hatte, auf einem Schiffsdeck herumzuwanken, während ich mich in Wahrheit auf den Weg zurück ins Dorf machte, die Haustür hinter mir einfach offen lassend. Ich traf keine Menschenseele, alles war wie ausgestorben.
    Als ich an die Stelle kam, an der der Weg in die breite Dorfstraße einmündete, sah ich ein ganzes Heer von Menschen, das sich auf mich zubewegte. Eine Wolke von Musik, die herzzerreißend traurig klang, hüllte den Zug ein, der Wind schien an der Trauer noch mitzuarbeiten und sie zu steigern, indem er einzelne Töne in die Länge zog und andere verzerrte. Farbenprächtige Wimpel und Fahnen ragten in die Luft und knapp über den Köpfen schwebte ein in der Sonne glänzender hölzerner Sarg. Und darunter sah man Franz' Familienangehörige, die die Last in die Höhe stemmten und ihre Ehre daransetzten, während der langen Prozession nicht zu ermüden. Das Schmuckstück, das glitzernde Zentrum des Zuges aber war der Pfarrer, der ganz vorn neben dem Sarg einherschritt. Er hatte den prachtvollsten Ornat angelegt und schwenkte selbst das Weihrauchfass. Die Ministranten bildeten eine geometrische Figur, die unveränderlich den Pfarrer umgab. Unermüdlich und fieberhaft waren seine fleischigen Lippen in Bewegung und leierten stumm Gebete daher, von denen, so schien es, Franz' Schicksal im Jenseits entscheidend mitbestimmt wurde. Dazu rasselte das Weihrauchfass, das er beschwörend dem Sarg entgegenstreckte und in einem fort hin und her bewegte. Jetzt ging der Trauermarsch zu Ende und die Musikanten, von denen man nur hie und da eine Tuba oder
    Trompete blinkend aus dem Zug herausragen sah, hielten inne. Alle blieben stehen, der Wind nestelte an den Haaren und Kleidern der Leute herum. Nur einer ging weiter, der Pfarrer, das Weihrauchfass hatte er abgegeben. Ich stand schwankend in der Straßenmitte. Er kam schnell und formlos auf mich zu, weil es sich dabei um einen nicht zur Begräbniszeremonie gehörigen Vorgang handelte. Er schaute streng drein und gütig zugleich. Noch bevor er mich erreichte, wehten mich die Wohlgerüche des Weihrauchs an, von denen sein Ornat erfüllt war. Ich lächelte und fühlte mich wohl. Die Sonne schien warm und freundlich auf uns beide herab. Wir grüßten uns, indem wir die Köpfe senkten und wieder hoben. Der Pfarrer schüttelte mir die Hand, wie ein Staatsmann die Hand eines anderen Staatsmannes schüttelt, während die Augen der Menge auf uns gerichtet waren.
    »Es heißt, Sie werden schon bald der ordentliche Leiter der hiesigen Polizeistation sein«, sagte er anerkennend und respektvoll. »Bitte reihen Sie sich doch ein in unseren Zug.«
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