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Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1

Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1

Titel: Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
Autoren: Myra McEntire
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1. KAPITEL
    M eine kleine Heimatstadt im Süden ist eine etwas verblichene Schönheit und erinnert an eine in die Jahre gekommene Ballkönigin. Das Knochengerüst ist exquisit, aber die Haut könnte ein Lifting gebrauchen. Als Architekt ist mein Bruder eine Art Schönheitschirurg für Ivy Springs.
    Gedankenverloren schlurfte ich durch den spätsommerlichen Regenguss zu einem seiner Restaurationsprojekte – unserem Zuhause. Das Wetter war mir vollkommen gleichgültig. Ich hatte es nicht eilig. Über Feng Shui, gotische Strebebögen und andere architektonische Finessen wusste mein Bruder vielleicht Bescheid – aber über mich? Er hatte keine Ahnung.
    Bevor ich geflohen war, um meinen Frust auf einem Laufband abzuarbeiten, hatten Thomas und ich wegen des bevorstehenden Abschlussjahrs der Highschool gestritten. Ich hielt es für überflüssig. Konservativ wie er war, sah mein Bruder das natürlich anders.
    Als ich zu unserem Haus kam, versperrte mir eine altmodisch gekleidete Südstaatenschönheit den Weg. Ein Seidenschirmchen und ein ausladender Reifrock machten ihren Look komplett. Auf einem Kostümfest hatte ich mal was Ähnliches an, aber sie trug das Original. Der Frust war wieder da und versperrte mir jetzt sogar den Weg.
    In Gestalt der verdammten Scarlett O’Hara aus Vom Winde verweht .
    Seufzend schob ich die Hand durch ihren Bauch und spürte keinerlei Widerstand. Ich verdrehte die Augen, als ich sah, wie sie mit den Wimpern klimpernd nach Luft schnappte und sich in Luft auflöste.
    »Hör zu Scarlett, deinem Rhett war’s schon egal, was du machst, und mir erst recht.«
    Als die Tür hinter mir ins Schloss fiel, fing es draußen an zu donnern. Ich ging die Treppe des ehemaligen Lagerhauses hinauf, das mein Bruder zu einem Wohnkomplex umgebaut hatte. Aber statt einen eleganten, filmreifen Auftritt hinzulegen, kam ich mit angeklatschten Haaren und tropfnasser pinkfarbener Regenjacke in die Küche gestapft. Mein Bruder saß am Tisch, auf dem er diverse Baupläne ausgebreitet hatte.
    »Emerson!« Thomas blickte von den Plänen auf und faltete sie in der Mitte zusammen, nur um sie erneut vor sich auszubreiten. Sein Lächeln glich meinem eigenen aufs Haar – das Ergebnis einer dreijährigen, erstklassig durchgeführten Kieferregulierung  –, nur dass ich heute nicht lächelte. »Ich bin froh, dass du zuhause bist.«
    Wenigstens war einer von uns froh.
    Ohne mein Zusammentreffen mit Miss O’Hara zu erwähnen, schüttelte ich das Regenwasser von meiner Jacke, woraufhin er genervt auf die Pfütze zu meinen Füßen starrte. Garantiert hatte er immer einen farblich auf seine Kleidung abgestimmten Regenschirm dabei. Thomas, der Pfadfinder. Allzeit bereit und für sämtliche Zwischenfälle gerüstet. Ein familiärer Charakterzug, der mir vollkommen fehlte.
    Wir hatten das gleiche blonde Haar und die gleichen moosgrünen Augen, doch Thomas hatte den kantigen Kiefer unseres Vaters geerbt, während mein Gesicht herzförmig war wie das unserer Mutter. Er war auch mit Daddys Größe gesegnet. Auch da bin ich zu kurz gekommen, und zwar gehörig.
    Thomas strich seine Baupläne ein wenig sorgfältiger glatt als notwendig. »Tut mir leid, dass wir uns gestritten haben.«
    »Schon gut. Mir bleibt sowieso keine andere Wahl.« Statt ihn anzusehen, starrte ich auf den Fußboden. »Entweder ich gehe weiter zur Schule, oder du lässt mich von der Polizei in den Jugendknast schleifen.«
    »Wir könnten neue Medikamente ausprobieren. Vielleicht würde es dir dann leichter fallen zurückzugehen.«
    »Keine neuen Tabletten.« In Wahrheit nahm ich gar keine Medikamente mehr ein. Aber davon ahnte er nichts. Dass ich ein solches Geheimnis vor ihm verbarg, löste gewaltige Schuldgefühle aus, die mich fast dazu gebracht hätten, ihm alles zu gestehen. Das Geständnis lag mir förmlich auf der Zunge, weshalb ich mir eine Flasche Wasser nahm und mein Gesicht hinter der Kühlschranktür verbarg. »Ich werd’s schon schaffen.«
    »Wenigstens hast du Lily.«
    Lily war meine einzige Freundin aus der Kindheit, die noch mit mir redete, und wahrscheinlich das einzig Gute an meiner Rückkehr aus dem Internat, wo ich die letzten beiden Klassen absolviert hatte. Offiziell hieß es, dass mein Stipendium für das letzte Schuljahr aufgrund »sinkender Spendenbereitschaft ehemaliger Absolventen« gestrichen wurde, aber vielleicht hatte das Mitgefühl für verwaiste Mädchen, die von Zeit zu Zeit halluzinierten und ihre Klassenkameraden ängstigten,
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