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Kreuzigers Tod

Kreuzigers Tod

Titel: Kreuzigers Tod
Autoren: Peter Oberdorfer
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tief.
    »Mir kommt es vor, als ob das Jahre her ist, viele Jahre, und doch war es erst vorgestern. Vorgestern.«
    Dann sagte sie wieder lange nichts und es schien, als wüsste und wollte sie nicht mehr weiter.
    »Und was genau, Anna, ist vorgestern geschehen?«
    »Also gut. Ich stand auf, morgens. Es war der erste
    Tag, an dem ich mich wieder bei Kräften fühlte. Franz schien gut gelaunt, der Tag war schön und er suchte sein Werkzeug zusammen, bevor er ausrückte, in den Wald. Ich sah die Axt vor der Haustür lehnen und ich sah, dass sie einen roten Pinselstrich auf der Klinge hatte, eine Art Markierung, die aussah wie eine Blutspur. Da überkam mich ein dunkles Gefühl. Dann stand plötzlich Franz neben mir und nahm die Axt in die Hand. Er öffnete die Haustür und wir verabschiedeten uns wie ein glücklich verheiratetes Paar, das sich ungern auch nur für ein paar Stunden trennt. Ich rief ihm treuherzig nach, dass ich ihm eine Jause in den Wald bringen würde. Aber sein Gesicht, das er mir im Weggehen noch einmal zuwandte, wies einen säuerlichen und nicht freudigen Ausdruck auf. Als drohte da eine Einmischung. Dennoch nickte er und entfernte sich. Er hatte einen sehr eigentümlichen Gang. Er ging schleppend wie ein trauriges Kind. Für mich kam morgens, wie immer, wenn er aus dem Haus ging, die Zeit der Langsamkeit und des Nichtstuns. Überall , wo ich gerade war, im Bad, in der Küche oder im Schlafzimmer, staute sich die Zeit. Ich tat nichts und hatte nichts zu tun. Normalerweise sog ich mich da schön langsam voll mit Schwermut, bis die Mühlbacherin kam und mir unter die Arme griff und mich mitnahm in den Wald. Aber an diesem Tag war es anders. Ich blieb unbeschwert und heiter, als würde die vergehende Zeit nicht auf mir lasten, sondern von mir herunterrutschen wie nasser Schnee von einem Hausdach. Irgendwann machte ich mich auf den Weg. Der Morgen war schon nicht mehr kalt. Die Sonne stand bereits hoch genug und legte sich mit ihrem vollen Strahlengewicht auf Wiesen und Wälder. Das lange
    Brüten begann, das Flirren und Schillern eines Sonnentags. Wie laut die Vögel zwitscherten, dachte ich, als ich auf dem Weg in den Wald hinein an den Wiesen vorbeiging, die bunt aufatmeten unter der Frühlingssonne. Und dann kam ich unter die Schatten der Bäume. Ich war aufgeregt, mein Herz klopfte, dachte ich, aber als das Klopfen immer lauter wurde, erkannte ich, dass es von außen kam. Ich war schon nicht mehr weit von unserem Wald entfernt. Es musste sich um Franz handeln, der da mit seiner Axt gegen die Baumstämme schlug. Einige Bäume lagen im Gras, ohne Ordnung, wie mir schien, und das Licht dort war voll und prall, weil kein Baum es zurückhielt. Mitten in diesem schweren Licht stand der verschwitzte Körper von Franz, umschwirrt von Insekten. Seine Muskeln und Sehnen verschoben sich umständlich, wenn er ausholte und einen Ast von einem Baumstamm herunterschlug. Der Körper von Franz tat genau, was Franz wollte. Ich schaute ihm lange zu und es wunderte mich, dass er mich nicht sah und meinen Blick nicht spürte. Vielleicht hatte er mich schon längst gesehen und tat nur so, als wäre ich nicht da. Dann stieg ich zu ihm hinab. Er hielt inne, lehnte die Axt an einen der Baumstämme und schaute mich an. Er konnte in diesem Moment, in dem er erschöpft war und im Wald stand, wo jede Verstellung und Verlogenheit so lächerlich aussieht und sofort auffliegt, nicht anders als ehrlich sein und mich mit einem sehr feindseligen Blick messen. >Jetzt also ist dir danach, die liebevolle Ehefrau zu spielen, hier im Wald, wo ich so gern allein bin und dich nicht brauche?<, schien dieser Blick zu sagen. Ich schämte mich ein wenig, dass ich da Verpflegung für ihn mitgebracht hatte, denn mir war mehr da-nach, ihn zu vergiften, als ihn zu verpflegen. Ich reichte ihm die Dose mit den Wurstsemmeln. >Da<, sagte ich nur. Er nahm die Dose und warf sie in hohem Bogen über seine Schulter nach hinten, wo sie irgendwo in der Wiese landete. Er tat einen Schritt auf mich zu und presste seinen nassen Körper an mich, dass mir in einer Wolke von scharfem Schweißgeruch vor Ekel schwindlig wurde. Sein Atem wurde zittrig, unruhig wie ein hoher Turm, bevor er umfällt. >Ich bin gar nicht hungrig, ich brauch was anderes<, flüsterte er und er sagte es nicht, weil er es wirklich wollte, er sagte es, um mich zu quälen. Das spürte ich, und das zu wissen schnürte mir die Kehle zu. Als er sah, wie seine Umarmung auf mich gewirkt hatte, schien
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