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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack
Autoren: Mirjam Pressler
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Geld mehr zu Hause«, sagt die junge Kaminski. »Ich habe vergessen, auf die Bank zu gehen. Morgen bringe ich es Ihnen, Frau Kronawitter, ganz bestimmt morgen.«
    Frau Kronawitter nickt. »Ist schon gut, Fräulein Elsbeth«, sagt sie und zieht aus der Schublade unter der Kasse das kleine schwarze Buch mit dem Wachstucheinband. Kaminski DM 7,95 schreibt sie hinein.
    Die ersten Eintragungen in das Buch hat noch Theo mit seiner kleinen, ordentlichen Schrift gemacht. Die Leute lassen nicht mehr so viel anschreiben, heutzutage. Früher, nach dem Krieg, da ist das ganz anders gewesen, damals haben fast alle anschreiben lassen. Und freitags kamen dann am Abend die Frauen und haben die Schulden bezahlt, die sie während der Woche gemacht hatten. Damals haben sie auch noch Lebensmittel im Laden gehabt, Mehl und Reis und Zucker und alles, was man so braucht. 1965 ist das gewesen, als Theo auf Süßigkeiten umgestiegen ist. »Wir kommen gegen die Konkurrenz nicht an«, hat er gesagt. »Wenn man so klein ist wie wir, kann man nur als Fachgeschäft überleben.«
    Frau Kronawitter ist nicht sicher, ob das richtig gewesen ist. Der kleine Laden in der Stettiner Straße, der von der Frau Wagner, existiert noch immer. Die Leute kaufen nie viel bei ihr, weil sie wirklich teurer ist als die Supermärkte, aber für ein Pfund Butter oder einen Liter Milch will keiner weit gehen. Damals schon hat Frau Kronawitter gezweifelt, ob das richtig war. Mehl und Nudeln und Zucker braucht man jeden Tag. Aber sie haben schon kaum mehr miteinander geredet, damals, sie und der Theo.
    Die junge Kaminski hat die Weinbrandkirschen in ihre Handtasche gepackt. Als ihre Mutter noch gelebt hat, da hat es das nicht gegeben, Herrenbesuch bis spät in die Nacht. Die alte Kaminski hat was auf sich gehalten, nicht so wie ihre Tochter.
    Was der will, der mit dem roten Auto, das kann man sich ja denken. Aber gut sieht sie aus, die Elsbeth, trotz der schwarzen Kleider. Überhaupt, die gehört zu den Frauen, die immer besser aussehen, je älter sie werden. Keiner hat erwartet, dass aus diesem mageren Kind mit den dünnen, rötlichen Rattenschwänzen mal so eine stattliche Frau werden würde.
    Gerda sieht auch gut aus. Aber die ist schon als Kind hübsch gewesen. Frau Kronawitter hat auch immer darauf geachtet, dass sie gefällig angezogen war, sogar in der schlechten Zeit, im Krieg und in den Jahren danach. Und Theo ist so stolz gewesen auf seine Tochter. Sie muss jetzt noch lachen, wenn sie daran denkt, wie er samstags mittags, wenn sie das Haus in Ordnung brachte, mit dem rosa gekleideten Mädchen an der Hand losgezogen ist. »Wir gehen was erleben«, hat er gesagt. »Wir erobern die Welt.«
    Mit Ludwig ist das ganz anders gewesen. Ludwig war ihr Sohn, nicht seiner. Nur einmal hat Theo darüber geredet, als er aus der Gefangenschaft gekommen ist. »Ja«, hat er gesagt, »er soll meinen Namen haben.« Das war alles. »Wir wollen es vergessen«, hat er noch gesagt. Als ob man so etwas vergessen könnte. Aber sie hat auch nicht mehr davon angefangen, sie hat sich nicht getraut aus Angst davor, sie könnte ihn vielleicht doch noch verlieren. Aber sie hat es nicht vergessen und Theo auch nicht. Sonst wäre das andere nicht passiert.
    Wastl steht auf, geht zu seiner Wasserschüssel und säuft. Er schläft die ganze Zeit im Laden, daran merkt man, wie alt er ist. Frau Kronawitter baut die kleinen Süßigkeiten rechts auf der Theke um. Treets, Banjo, Snickers, Milky Way, Mars, Bounty, Duplo und Hanuta, alles schön in einer Reihe. Immer, wenn sie die Unordnung in ihrem Innern spürt, muss sie aufräumen. Wie ein Zwang ist das. So ist es ihr schon gegangen, als sie noch eine junge Frau war.

7.
    Der Vater ist müde und sauer nach Hause gekommen. Gereizt sitzt er am Tisch und schimpft vor sich hin. »Scheißautofahrer. Du brauchst wirklich jemand nur in ein Auto zu setzen und er ist kein Mensch mehr. Glaubst du, die würden einmal stehen bleiben und dich vorbeilassen? Nein, da denkt jeder nur an sich selbst, jeder wird zum Tier, was sage ich, zum Verbrecher wird der Mensch, wenn er in einem Auto sitzt. Taxifahren ist kein Beruf mehr, eine Strafe ist das.«
    Herbert sitzt ganz ruhig da, hält den Kopf gesenkt und schmiert sein Brot. Auch die Mutter sagt nichts. Wenn der Vater so schlecht gelaunt ist, kann man nichts machen, nur hoffen, dass es schnell vorbeigeht.
    Nach dem Essen räumt die Mutter den Tisch ab. »Komm, Kurt, wir gehen noch ein Bier trinken«, sagt sie. »Dann
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