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Kratzer im Lack

Kratzer im Lack

Titel: Kratzer im Lack
Autoren: Mirjam Pressler
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geht es dir wieder besser.«
    Herbert ist nicht gern allein zu Hause, aber jetzt ist er froh, dass der Vater Ja sagt. Wenn er so gereizt ist wie heute, läuft er wie ein Tiger im Käfig durch die Wohnung, und keiner weiß, was als Nächstes kommen wird. Selbst einer plötzlichen Freundlichkeit ist dann nicht zu trauen, weil sie genauso unberechenbar ist wie seine Wutausbrüche.
    Zuerst sitzt Herbert vor dem Fernsehapparat. Aber immer wieder greift er nach dem Messer in seiner Hosentasche. Er hätte sich mittags Holz zum Schnitzen holen sollen, blöd, dass er das vergessen hat, jetzt ist es schon zu dunkel. Aber am Parkrand sind Straßenlaternen. Er weiß nicht, ob er gehen soll, ob seine Eltern es ihm erlauben würden. Und eigentlich hat er Angst vor der Dunkelheit. Aber wenn er das Messer in seiner Tasche fühlt, ist die Angst auf einmal viel kleiner. Was für ein gutes Gefühl das doch ist, ein Messer in der Tasche zu haben.
    Es ist aber doch sehr dunkel im Park, er kann fast nichts erkennen, auch nicht unter den Laternen. Das Licht wird von den Bäumen und Büschen verschluckt. Er kniet sich auf den Boden und fühlt mit den Händen in das dürre Gras unter den Büschen, hofft, ein Stück Holz zu finden, einen abgefallenen Zweig oder so etwas.
    Und dann hat er plötzlich Angst. Er kann überhaupt nicht mehr nachdenken, spürt nur etwas Drohendes, Unheimliches, hört, wie der Kies unter näher kommenden Schritten knirscht. Herbert kann nur noch rennen, weg vom Park, weg von der Dunkelheit. Beim Laufen hält er das Messer in der Tasche umklammert. Erst als er in die Danziger Straße einbiegt, fühlt er sich wieder sicherer.
    Schon von weitem sieht er, dass der rote Opel vor dem Haus steht. Besuch für Fräulein Kaminski aus dem zweiten Stock. »Eine Schande ist das«, hat die Mutter gesagt, »eine Schande. Kaum ist die alte Kaminski tot, ist der Kerl da. Zweimal die Woche. Hast du das gesehen, Kurt?« Sie hat hinter der Gardine gestanden und hinuntergeschaut auf die Straße. »Gerade ist er ausgestiegen. Der ist doch bestimmt verheiratet, in dem Alter. Dass die Kaminski sich mit so einem einlässt. Die muss mannstoll sein.«
    »Lass, Barbara«, hat der Vater gesagt und eine Kopfbewegung zu Herbert hin gemacht. »Nicht, Barbara, der Junge.«
    Herbert hat so getan, als würde er lesen, aber sein Herz hat geklopft, weil die Stimme seiner Mutter so anders geklungen hat. Er hat schon verstanden, was sie gemeint hat.
    Später, im Bett, hat er immer wieder an Fräulein Kaminski und den Mann denken müssen. Fräulein Kaminski hat große Brüste, die wippen, wenn sie die Treppe rauf-und runtergeht. Einmal hat er ihr geholfen, hat für sie ein Paket hinaufgetragen. Oben hat sie die Tür aufgeschlossen und ist im Eingang stehen geblieben. Im Vorbeigehen hat er ihre Brust an seinem Arm gespürt.
    Er muss oft abends an Fräulein Kaminski denken. Bilder tauchen dann in seinen Gedanken auf, Wünsche, Hoffnungen, bis er das heiße Gesicht in die Kissen vergräbt.
    Wenn Fräulein Kaminski nicht so große Brüste hätte.
    Herbert bleibt neben dem roten Opel stehen. Der Autolack ist kalt und etwas körnig unter seinen Fingerspitzen. Er denkt daran, dass der Mann, dem dieses Auto gehört, jetzt bei Fräulein Kaminski ist, und steckt die Hand in die Tasche. Da ist das Messer.
    Butch griff nach der Frau. Seine starken Arme umschlossen sie und drückten sie auf das Moos. »Du hast mich gerettet«, flüsterte sie und schloss die Augen. »Ich liebe dich.«
    Herbert lehnt seinen mageren Körper an das harte Metall des Autos. Seine Erregung wächst. Das Messer in seiner Hand ist stark und gut. Langsam legt er den Hebel um und drückt darauf. Zart lässt er die Klinge über den Autolack streifen, genießt das leise Kratzen, mit dem Metall auf Metall stößt. Langsam zieht er das Messer über das Auto, dann härter, heftiger, lauter.
    Und dann ist es sehr still.
    Herbert starrt erschrocken auf die Autotür. Selbst im schwachen Licht der Straßenbeleuchtung kann er erkennen, dass die Tür von oben bis unten zerkratzt ist. Er fängt an zu zittern. Erst jetzt denkt er daran, wie leicht ihn jemand hätte erwischen können. Er rennt in den Hausflur, die Treppe hinauf, er findet das Schlüsselloch nicht gleich, tastet ungeschickt mit dem Schlüssel herum und lehnt, endlich, an der Wand in seinem Zimmer. Er weint.
    Im Bett fällt ihm ein, wie die Autotür ausgesehen hat. Voller Kratzer, voller Striemen. Wie sein Hintern, wenn der Vater ihn mit dem
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