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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
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an und sie haben mir Wasser auf die Stirn gespritzt.«
    Â»Daran kannst du dich nicht erinnern«, meinte Neal. »Du warst noch viel zu klein. Menschengehirne können erst Sachen speichern, wenn sie mindestens zwei Jahre alt sind. So ist das doch, nicht wahr, Dad?«
    Â»Das kann ich nicht bestätigen«, sagte Dad. »Die Erinnerungen sind da, aber wie man darauf zugreift … das ist eine ganz andere Geschichte …«
    Und schon waren sie wieder mittendrin in einer dieser Diskussionen, an der die Mitglieder meiner Familie so viel Spaß haben.
    Lia saß still dabei, aß ihr Brot und hörte zu. Der Feuerschein flackerte über ihr Gesicht und betonte die Schrägstellung ihrer Augen … ihrer Alien-Augen. Es war seltsam, dieses Gesicht zu beobachten, mein Gesicht … in einem Licht, in dem ich es nie gesehen hatte. Ich hatte mein Gesicht nie hübsch gefunden. Das tat ich immer noch nicht, aber ich konnte gewisse Qualitäten erkennen, eine eindrucksvolle Fremdartigkeit, die Gordon angezogen haben mochte. Die Farbe von Teint und Haar, die Gesichtsform … all das hatte einen Hauch von etwas, das nicht wie Mary Beth Ziegler war, nicht wie Natalie Coleson.
    Lia rückte ein Stück und lehnte sich an Dads Knie, er ließ ganz beiläufig die Hand sinken und locker auf ihrem Haar ruhen. Sie schien sich dort wohlzufühlen, fügte sich ganz natürlich in diese eng zusammengehörige Gruppe ein. Sie war kein Eindringling. Sie war Laurie Stratton.
    Und wenn sie Laurie Stratton war … wer war ich dann?
    Â»Sei vorsichtig.« Meg hatte mich gewarnt.
    Â»Das bin ich«, hatte ich ihr versichert.
    Das war ein Versprechen gewesen, das leicht gegeben worden war. Und leicht gebrochen. Denn was war letztlich »vorsichtig«? Ich würde so vorsichtig sein, nie wieder hinaus auf die Felsen zu gehen. Ich würde mich sehr vorsehen, nicht wie Helen auf vereisten Pfaden zu rennen. Aber abgesehen von diesen Vorsichtsmaßnahmen, wie sollte man sich vor einem substanzlosen Wesen vorsehen?
    Â»Ein Schatten kann doch nichts machen«, hatte ich Meg erzählt, mit so einer Sicherheit, mit so einer Selbstgefälligkeit. Ich hatte recht gehabt. Ein Schatten konnte nichts machen, es sei denn, er hörte auf, ein Schatten zu sein. Es sei denn, es gelang ihm, einen Körper zu vereinnahmen, der verlassen und ungeschützt von jemandem zurückgelassen worden war, der sich für unverletzlich hielt.
    Der Tag schritt voran. Irgendwann wurden die Windgeräusche schwächer und es wurde merkwürdig ruhig im Haus.
    Â»Er hat sich gedreht«, sagte Mom.
    Wenn dieser Sturm nach dem Muster der üblichen Winterstürme verlief, würde morgens die Sonne durch die Wolkenlücken scheinen und Fetzen von Blau am Himmel zu sehen sein. Die Strände würden Eiskrusten tragen und an der Wasserlinie würden gefrorene Fischkörper liegen. Bis zum Mittag wäre der Schiffsverkehr vom Festland wieder aufgenommen worden, die Telefonleitungen würden wieder funktionieren und Strom hätten wir auch wieder. Mom würde malen und Dad emsig auf den Computer einhacken, um all die verschwendeten Stunden wieder einzuholen.
    Als es Zeit fürs Abendessen war, versammelten sich fünf Menschen in der Küche zu einer kalten Mahlzeit bei Kerzenschein. Dad schenkte ein Glas Wein mehr als üblich ein, und er und Mom wurden gesprächig, lachten ein bisschen mehr als sonst und schwelgten in Erinnerungen.
    Â»Erinnerst du dich noch an diesen Sturm, der den Babywal an den Strand gespült hat? Sie mussten die Küstenwache ausschicken, um ihn wegzuziehen.«
    Â»Erinnerst du dich an den, der Millionen von Seesternen angetrieben hat?«
    Â»Woran ich mich am besten erinnere«, sagte Mom, »sind all die Jahre, in denen wir uns ausgemalt haben, wie es wohl sein würde, auf einer Insel zu leben. Wir sind mit der Fähre im Hafen von New York herumgefahren, von allen Seiten von Menschen umringt, und haben so getan, als wären wir auf dem Weg zu einem abgelegenen Ort, an dem es nichts als Wind, Wellen und Sonnenschein gab.«
    Â»Und eines Tages seid ihr wirklich hier angekommen«, sagte Neal.
    Â»Ja, eines Tages ist das geschehen. Ich frage mich oft, für wie viele Menschen ein so großer Traum tatsächlich in Erfüllung gehen mag.«
    Â»Nicht viele«, sagte Dad. »Wir haben Glück gehabt. Wir haben hart gearbeitet, klar, aber unsere Arbeit
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