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Komm zu mir, Schwester!

Komm zu mir, Schwester!

Titel: Komm zu mir, Schwester!
Autoren: Lois Duncan
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der anderen Seite des Tisches ihr Gespräch fortsetzten.
    Neal sagte: »Ich bin fertig mit meinem Salat.«
    Â»Nein, bist du nicht«, sagte Mom, ohne hinzugucken. »Du hast ihn unter dein Brot geschoben.«
    Wie gut sie uns kannte! Moms Leben war ihre Kunst und ihre Familie. Wie konnte ihr da entgehen, dass eins der Kinder an diesem Tisch nicht ihres war?
    Â»Darf ich aufstehen?«, fragte Meg.
    Â»Sicher«, sagte Dad. »Wenn du fertig bist.«
    Â»Ich glaub, ich geh zu Bett.«
    Damit hatte sie sofort Moms Aufmerksamkeit.
    Â»So früh, meine Süße? Geht es dir nicht gut?«
    Â»Also, so richtig krank bin ich nicht«, sagte Meg.
    Â»Ist denn sonst irgendwas mit dir?«
    Â»Ich weiß nicht. Irgendwie ist alles so komisch. Keine Ahnung. Mir ist nicht danach, noch länger hier unten zu bleiben.«
    Â»Das war schon ein seltsamer Tag«, meinte Dad. »Alles war ein bisschen aus dem Lot. Ich glaube, wir sollten alle früh ins Bett gehen. Ohne Strom kann man abends ja auch nicht viel machen.«
    Meg stand vom Tisch auf und gab unseren Eltern einen Gute-Nacht-Kuss. Mom drückte ihr eine Taschenlampe in die Hand und sie ging nach oben. Ich begleitete sie. In der Tür vom Kinderzimmer blieb sie stehen, und dann, als ob sie einer plötzlichen Eingebung folgen würde, ging sie die Treppe weiter hoch zu meinem Zimmer. Sie ging rein und schien nicht recht zu wissen, was sie als Nächstes tun sollte. Langsam ließ sie den Lichtstrahl der Taschenlampe im Raum kreisen und mit unsicherer Hand über Wände und Möbel gleiten. Dann knipste sie das Licht aus und stellte sich vor die Balkontür.
    Es hatte aufgehört zu schneien, und der Himmel war jetzt so frei, dass ein paar Sterne zu sehen waren, die in weiter Ferne zitternd wie Glühwürmchen vor dem Dunkel leuchteten.
    Â»Irgendwas ist komisch«, sagte sie noch einmal leise. Dann knipste sie die Taschenlampe an und ging wieder zurück in ihr Zimmer.
    Ich beobachtete, wie sie ihren Pyjama anzog, und blieb bei ihr, bis sie eingeschlafen war. Ich hätte gern das Gefühl gehabt, sie beschützen zu können, aber ich wusste, dass meine Gegenwart absolut unbedeutend war. In meinem körperlosen Zustand war ich hilflos und konnte sie vor gar nichts schützen. Verzweifelt wünschte ich mir, sie berühren zu können, das weiche, helle Haar unter meinen Fingern zu spüren, den warmen, stämmigen Körper in die Arme zu schließen, aber Meg hätte das auch nicht mehr Sicherheit gegeben als ein Lufthauch in einem zugigen Raum.
    Unruhig wälzte sie sich eine ganze Weile auf ihrem Bett, und als Neal ins Zimmer kam, war sie gerade erst eingeschlafen. Ich hielt Wache, bis er im Schlafanzug war und unter die Decke kroch. Irgendwie war es leichter wegzugehen, wenn die beiden zusammen waren, als Megan allein zulassen.
    Pass auf! Meg, pass auf!
    Und wenn ich meine Warnung ewig herausschrie, was nützte es schon? Wenn Meg mich hören könnte, wüsste sie immer noch nicht, welche Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen waren. Der Feind war kein Fremder mehr, er verbarg sich hinter einem geliebten Gesicht.
    Ich bewegte mich die Treppe hoch zu meinem eigenen Zimmer. Lia saß auf dem Bett und bürstete sich die Haare. Es war dunkel im Zimmer, und die Bürstenstriche ließen winzige elektrische Funken sprühen, wie Meeresleuchten auf den Wellen der nächtlichen See.
    Ich stellte mich neben sie. Sie spürte meine Gegenwart und die Fassade fiel.
    Â»Hallo«, sagte Lia. »Ich hab schon gewartet. Was hat dich aufgehalten?« Sogar wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte ich nicht antworten können, denn sie sprach sofort weiter: »Brauchst nicht zu antworten. Ich könnte dich sowieso nicht hören. Sehen kann ich dich auch nicht. Dieses Bild von dir, das dein Bruder auf den Felsen gesehen hat, war nur sichtbar, weil es vom Schock energetisiert war.
    Du hast noch nicht genug Übung, um so etwas aus deinem Willen heraus zu erreichen. Ich weiß, dass du hier bist, weil ich ein Ziehen an der Silberschnur spüre, die dich in de n Körper hineinziehen will. Aber da ist kein Platz. Du kannst nicht in einen Körper eintreten, der schon besetzt ist.«
    Sie ließ die Bürste sinken und es gab keine Funken mehr. Aber die Dunkelheit konnte ihr Gesicht nicht vor mir verbergen. Sie lächelte.
    Â»Erinnerst du dich, wie du mich zum ersten Mal gesehen hast? Du
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