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Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Titel: Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts
Autoren: W Freund
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Das 1. Kapitel,
in dem sich alles verändert, weil eine Kutsche kommt
    In der Nacht hatte es wieder gefroren. Die Felder biss der Frost, auf den Äckern klumpten harte Brocken Erde und in den Rinnen und Rillen des zerfurchten Hofs waren die Pfützen noch überfroren. Wie winzige Gletscher lagen sie unterhalb der brüchigen Gipfel, die die Karrenräder aufgetürmt hatten. Man musste nur klein genug sein, um das zu sehen.
    Die Schweine standen im Koben. Von ihren mächtigen Leibern dampfte es in den Morgen, grunzend drängten sie sich um den Trog. Sie hatten Jonas Nichts schon gesehen. Er war aus der Hintertür gestolpert, seiner Atemwolke hinterher. Seine Holzschuhe brachen krachend das Eis auf den Pfützen und trugen die Gipfel über den Tälern der Spurrillen ab. Die Pampe im Bottich schwappte – Kartoffelschalen, Soßenreste, welkes oder zerkochtes Gemüse, Elsas Küche gab einiges her.
    Die Schweine balgten sich schon um die besten Plätze. Über den Misthaufen stakste unbeteiligt der Hahn. Wenn es fror, stank der alte Mist nicht, bald jedoch, wenn Brand zu misten begonnen hätte, würde die feuchte Wärme des neuen aufsteigen wie Nebel. Aber Brand lag noch mit offenem Mund auf seinem Strohsack und dünstete Bier aus.
    Jonas leerte den Bottich in den Trog, das Grunzen und Schmatzen der Schweine begleitete ihn zurück bis ins Haus. Er strich sich das fransige Haar aus der Stirn, streifte die Holzschuhe ab und lief auf oft gestopften Strümpfen in die Gaststube. Seit vielen Tagen hatte sich niemand mehr in diese Einöde verirrt. Jonas wischte trotzdem Tische und Bänke und streute Stroh auf dem gestampften Boden aus. Dann schlich er sich in die Küche.
    Elsa stand schon über das Feuer gebeugt, in einer Schüssel ging Brotteig. Für einen stummen Moment trafen sich ihre Blicke. Elsas Augen waren noch klein, die von Jonas waren so groß und sonderbar wie immer. Sein linkes Auge war grün, sein rechtes von einem durchscheinenden, sehr hellen Blau. Elsa konnte sich nie genug darüber wundern, kaum ein Tag verging, an dem sie nicht davon sprach, aber am frühen Morgen hatte sie für seine »Geisteraugen« noch keine Zeit. Über die zerkratzte Tischplatte schob sie ihm einen Kanten Brot von gestern zu. Sie goss ihm auch einen Becher Milch ein, und Jonas aß und trank, und als er fertig war, holte er den Zettel hervor.
    Das Papier war schon ganz brüchig, weil Jonas es immer mit sich herumtrug, und es wäre vernünftiger gewesen, den Zettel in der Küchenbank aufzubewahren, aber das brachte Jonas nicht fertig. Der Zettel und dessen Geschichte waren alles, was er besaß. Vorsichtig strich er ihn glatt, wie immer achtete er darauf, die wenigen Buchstaben nicht zu berühren. Sie waren mit Bleistift geschrieben, und Jonas hatte Angst, sie würden sich abtragen. Schon jetzt war die Schrift ganz blass, ein immer heller werdendes Grau auf dem immer dunkler werdenden Papier.

    So stand das auf dem Zettel, untereinandergeschrieben, als hätte das eine Wort mit dem anderen nichts zu tun. Und doch ergaben beide Wörter zusammen Jonas’ Namen. Der Zettel war seine Geburtsurkunde, seine Taufbescheinigung und sein einziges Erbe. Brand hatte ihm den Zettel gegeben, und seitdem hatte Jonas die Geschichte, die zu dem Zettel gehörte, immer wieder hören wollen. Dann kauerte er sich zu Brands Füßen, nah an den Ofen der leeren Gaststube, und piesackte Brand mit Fragen, als könnte er dessen launischer Erinnerung so auf die Sprünge helfen.
    Manches an Jonas’ Geschichte immerhin war gewiss, Brand änderte es nie. Die Kälte dieser Nacht vor zwölf Jahren, der Wind, der über die Hügel pfiff, das lange verlorene Lammfell, in das der winzige Jonas gewickelt gewesen war. Dazu die vornehme Kleidung des Reiters, der ihn gebracht hatte, der lange Mantel, die Lederstiefel, der Hut tief in der Stirn. Von Zeit zu Zeit glaubte Jonas sogar, dass Brand den Reiter kannte und wusste, wo er hergekommen war, aber in diesem Punkt verriet Brand sich nie. Manchmal ließ er den Reiter auf einem Schimmel kommen, manchmal auf einem großen Braunen, und wenn Brand mürrisch war oder einfach nicht betrunken genug, dann hatte das Pferd gar keine Farbe und die Geschichte war kurz.
    War sie lang, ließ Brand zwischen zwei Mundvoll Bier einen Sturm heulen und die Fensterläden klappern, und ein einziges Mal hatte er sogar erzählt, dass der Reiter ihm Geld gegeben hatte dafür, dass er Jonas nahm. Aber das erwähnte Brand nie wieder, und Jonas kam auch nicht
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