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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out
Autoren: Andreas Eschbach
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bewiesen. »Und was man sich eigentlich wünscht, ist, so eine Verbindung zu jemand anders zu haben.«
    Sie betrachtete ihn. Christopher war immer noch der schlaksige blasse Junge mit den ewig ungekämmten, schlecht frisierten Haaren, der er schon gewesen war, als sie ihn das erste Mal getroffen hatte – doch zum ersten Mal konnte sie sich vorstellen, ihn zu küssen.
    »Du meinst Freundschaft«, sagte sie.
    Er stutzte, dann nickte er, als habe ihm genau dieses Wort nicht einfallen wollen. »Genau. Das meine ich. Freundschaft.«
    Ja, tatsächlich war sie sich fast sicher, dass sie ihn irgendwann küssen würde.
    Aber noch nicht heute. Das hatte Zeit.

Verrat
     
    95 | Es war spät am Abend, als Dr. Neal Lundkvist wieder vor dem Haus seiner Tochter stand. Irgendwie hatte er von Anfang an gewusst, dass ihn sein Weg schließlich wieder hierher führen würde.
    Er ließ die Tür seines Wagens zufallen, machte sich nicht die Mühe abzuschließen. Er sah sich um. Nichts hatte sich verändert. Als sei es erst gestern gewesen, dass er geflohen war.
    Als sei es derselbe Abend, an dem er gekommen war.
    Irgendwie wunderte es ihn auch nicht, dass er, als er am Fuß der Treppe anlangte, Patricia schon hinter dem Mückengitter in der offenen Tür stand. Sie sah auf ihn herab, ohne sich zu regen; schien darauf zu warten, was er sagen würde.
    »Ich möchte dazugehören«, sagte Lundkvist.
    »Was heißt das?«, fragte sie.
    Lundkvist schluckte. »Dass ich den Chip will.«
    Sie hob die Hand, drückte das Gitter auf. »Komm herein.«
    Später tauchten zwei Frauen auf, beide weiß gekleidet, eine davon auffallend muskulös. Sie bereiteten die Implantation vor. Jeder Handgriff verlief genau so, wie Christopher es beschrieben hatte: die Halterung, an der man seinen Kopf festspannte. Das Spray mit dem Lokalanästhetikum. Das pistolenartige Implantationsgerät, in das man den Chip unmittelbar vor dem Eingriff einsetzte.
    Lundkvist sah seine Tochter an. Sie erwiderte seinen Blick reglos. Er las immer noch jene Unversöhntheit darin, die ihre Beziehung seit dem Tod ihrer Mutter geprägt hatte.
    Nun würde sie ihm vergeben müssen. Wenn er erst Teil der Kohärenz war, dann würde sie ihn verstehen. Wenn das wirklich so war, wie alle sagten – dass man darin direkt von Gehirn zu Gehirn kommunizierte, dass man keine Sprache brauchte, dass es keine Lüge, keine Verstellung, keine Masken mehr gab, dann musste sie ihn einfach verstehen. Dann würde sie seine Schuldgefühle wegen Marens Tod spüren, wie er sie spürte. Wenn seine Gedanken und Gefühle offen vor ihr lagen, dann würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als ihm zu verzeihen.
    Er schloss die Augen, als die Frau mit der altmodischen Brille ihm den Injektor in die Nasenhöhle schob. Vor seinem inneren Auge sah er Darstellungen des Naseninneren aus medizinischen Fachbüchern, sah, welchen Weg das Gerät nahm. Er spürte nichts, aber er hörte in seinem Kopf, wie die Spitze auf der Lamina cribrosa aufsetzte, der Siebbeinplatte, oberhalb derer der Riechnerv verlief. Es hörte sich an wie der Einsturz eines Gebäudes, als das Gerät durch den Knochen bohrte, um den Chip direkt auf dem Nervus olfactorius abzusetzen.
    Willkommen, rief ein Chor von Stimmen, und es war, als halle ihr Ruf nach: komm, komm, komm…
    Tausende von Stimmen, die er hörte. Tausende von Augen, durch die er sah. Tausende fremder Gedanken, die in ihm Resonanz fanden.
    Er spürte kaum, wie man ihn losband, zu einem Bett führte, ihm half, sich hinzulegen. Er spürte nur diesen Pulsschlag von Gefühlen, mächtig wie ein Erdbeben.
    Willkommen – komm – komm – komm…
    Irgendwann schließlich hörte er auf, Neal Lundkvist zu sein, und wurde zur Kohärenz.
     
     
    – ENDE DES 2. TEILS –
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