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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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– Lastträger, Schlachter und Seineschiffer – dachten an apokalyptische
     Gewaltorgien, und unter der Hand gesellten sich zu ihnen, angezogen wie Feilspäne von einem Magneten, gefürchtete Banden schwerer
     Pariser Jungs, die sich tagsüber für gewöhnlich in stinkenden Vorstädten, in Höhlen mit zwiefachem Ausgang, in der Obrigkeit
     unzugänglichem Gassengewirr versteckten.
    Es war ein einziger Aufschrei: alles wünschte den schrecklichsten Tod einem Mann, der schon nicht mehr war. An den Kreuzungen
     sägte man die fünfzig Galgen ab, die er zur Abschreckung fürs Volk hatte errichten lassen. Nur einen ließ man stehen: den
     vom Pont Neuf, denn dort, so lautete der Schwur, solle der
coglione
hängen, sowie man ihn erst hätte. |459| Der Polizeioffizier, der einzuschreiten versuchte, wurde mit Steinen verjagt, und er ließ dem König melden, die Menge marschiere
     gegen den Louvre.
    Der geheime Rat des Königs, der seit dem Augenblick, da Concini unter den Kugeln gefallen war, aufgehört hatte, geheim zu
     sein, tagte in Dauersitzung und beschloß, diesen Unruhen und möglichen Exzessen rasch entgegenzuwirken. Die Schützen der Leibgarde,
     gut erkennbar an ihren Uniformen in den Farben des Königs, wurden zu Pferde und mit allen nötigen Polizeioffizieren und Fahnen
     durch Paris geschickt, um überall auszurufen: »Concini ist tot! Concini ist tot! Der König ist König! Es lebe der König!«
    Dieser Ruf verbreitete sich von Viertel zu Viertel, von den Plätzen in die Straßen und von den Straßen in die Gassen mit unvorstellbarer
     Geschwindigkeit. Von einer Minute zur anderen schlugen Schmerz und Wut des Volkes in ebenso unbändige Freude um. Fremde fielen
     einander in die Arme, man beglückwünschte sich mit strahlenden Gesichtern, es war, als hebe eine gerechtere Welt an, in der
     es sich gut leben lassen würde. Aus den abgesägten Galgen, an denen die aufrührerischen Pariser hatten hängen sollen, machte
     man Freudenfeuer, die den Tod desjenigen feierten, der sie aufgestellt hatte. Die Gastwirte mußten ihren Ausschank wieder
     öffnen, man setzte sich zusammen, trank, sang und tanzte, schwenkte die Frauen herum wie wild. Und vor allem redete man unermüdlich
     von dem kleinen König, konnte sich nicht genug über die Tapferkeit eines Bürschchens verwundern, das noch keine sechzehn war,
     erinnerte daran, wie gut er aussah und wie stolz er im Sattel saß bei öffentlichen Ausritten, prophezeite, er werde der größte
     König der Welt werden. Man verkündete, er habe sein Volk gerettet und befreit. Man verglich ihn mit der Jungfrau von Orléans,
     denn genauso sanftmütig sähe er aus, manche behaupteten sogar, sein Plan, das Scheusal zu töten, sei ihm von Gott eingegeben
     worden oder von einem gottgesandten Engel. Wer kein Geld hatte, sich einen Wein zu leisten, wanderte unermüdlich durch die
     Straßen vor lauter Begeisterung, und nicht nur rief man: »Es lebe der König!«, bis die Kehlen heiser wurden, sondern auch:
     »Der König ist König!«
    Der Gegenstand so großer Verehrung wurde im Louvre von einer anderen, aber nicht minder inbrünstigen Menge bestürmt. |460| All jene, die am ›Schalter‹ eine weiße Pfote vorweisen konnten – Adlige, Gerichtsherren, Amtsadlige, große Staatsdiener –,
     reihten sich geduldig auf der Zugbrücke, auf der ›schlafenden Brücke‹, ja bis auf die Rue de L’Autriche hinaus in einer endlosen
     Schlange. Denn der Andrang war groß, und am ›Schalter‹ wurde nur einer nach dem anderen durchgelassen. Die breite Treppe Heinrichs
     II. war schwarz vor Menschen. Man kam nur jede halbe Stunde einen Schritt voran, und alles stand dicht bei dicht, da konnte
     keine Stecknadel zu Boden fallen. Weil die königlichen Gemächer zu klein waren für diesen Ansturm, hatte man den König in
     die Kleine Galerie geführt, aber um auch dort von der begeisterten Menge nicht zerquetscht, sondern gesehen zu werden, mußte
     Ludwig auf den Billardtisch steigen. Da schallten von allen Seiten andachtsvolle Rufe zu ihm auf, Wälder von Händen streckten
     sich empor, begierig, ihn zu berühren, als könnte diese Berührung ihnen auf immer Frieden und Glück schenken.
    Die Gardeschützen, die den Billardtisch umstanden, hinderten die glühendsten Verehrer, auf das grüne Tuch zum König hinanzuklettern.
     Weil sie zur Sicherheit waffenlos waren, hielten sie die Billardqueues in der Waagerechten, um die Menge zurückzuhalten. Zwei
     Queues zerbrachen dabei, was alle
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