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Ende (German Edition)

Ende (German Edition)

Titel: Ende (German Edition)
Autoren: David Monteagudo
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    Hugo – Cova
    D as Telefon klingelt einmal, zweimal, dreimal. «Kann vielleicht mal jemand rangehen?», schreit Hugo von irgendwo im Haus. Aber das Telefon klingelt noch einmal, kurze Stille, noch einmal. Schimpfend eilt Hugo mit kleinen Schritten ins Arbeitszimmer und nimmt beim nächsten Läuten ab. «Ja, bitte», sagt er barsch, während sich der Hörer noch auf dem Weg zum Ohr befindet. Er ist wütend, teils auf den anonymen Anrufer, teils auf diejenige, die ihn durch ihre Passivität oder Abwesenheit dazu gezwungen hat, den Anruf entgegenzunehmen.
    Der anfänglichen Aufregung folgt Schweigen, eine erwartungsvolle Stille. Sekundenlang bleibt Hugo stumm, starrt ins Leere, runzelt die Stirn. «Wie? Nein. Ich weiß nicht.» Er druckst herum, mit langen Pausen zwischen den Wörtern. «Ehrlich gesagt, so auf Anhieb …» Misstrauisch zieht er die Silben in die Länge, umklammert angespannt den Hörer. «Wer?», fragt er gereizt, doch dann unterbricht er sich und schlägt plötzlich einen völlig anderen Ton an: «Nieves, aber natürlich! Deine Stimme hat sich überhaupt nicht verändert. Entschuldige, es ist … Wer hätte das gedacht? Wie lange? Auf der Straße, stimmt, du wohnst ja gleich um die Ecke. Genau, ich seh dich ab und zu mit den beiden Kindern. Wie du merkst, entgehst du meinem wachsamen Auge nicht.»
    Hugo spricht stockend, überlässt Nieves immer wieder das Wort. Aber er ist entspannter. Seine Stimme klingt jetzt freundlich, locker, fast banal. Zerstreut blickt er mal auf die gerahmte Zeichnung, die neben dem Fenster hängt, mal auf die Bäume und Häuser draußen. Ein sanftes, leicht ironisches Lächeln umspielt seinen Mund, während in seinen Augen eine boshafte Neugier aufblitzt.
    «Stimmt, zum letzten Mal richtig unterhalten haben wir uns vielleicht vor … fünfzehn Jahren? Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Was verschafft mir die Ehre?» Langes Schweigen. Hugo steht reglos da, starrt zum Fenster hinaus, mit dem Rücken zur Tür. «Das hatte ich völlig vergessen», sagt er schließlich. «Nein, entschuldige, stimmt nicht, natürlich erinnere ich mich. Ich muss sogar öfter mal dran denken. Nur das genaue Datum war mir entfallen, ich wusste nicht, dass es gerade jetzt so weit ist.»
    Bedächtig dreht Hugo sich um. Sein Blick wird nachdenklicher, aufmerksamer. Er sieht wieder zu der Zeichnung an der Wand, sagt länger kein Wort. Am Rand seines Blickfelds nimmt er etwas wahr. Cova lehnt am Türrahmen. Einige Sekunden lang sieht Hugo ihr in die Augen, neutral und unpersönlich, als wäre er konzentriert auf das, was Nieves am anderen Ende der Leitung sagt. «Doch, doch, ich hör dir zu», beteuert er und wendet sich von Cova ab. «Aber ja, sicher, natürlich. Trotzdem, das war eine Jugendsünde.» Hugo schüttelt den Kopf, öffnet den Mund, um etwas zu sagen, schließt ihn wieder, lächelt, schnaubt, will etwas sagen, tut es aber nicht. Stattdessen schließt er die Augen. Dann sagt er doch noch: «Könnte lustig werden, ja. Ach! Doch, könnte interessant werden. Das wäre, na ja, das wäre … Glaubst du, sie kommen? So viele Leute unter einen Hut zu bringen. Fällt auf einen Samstag? Das trifft sich gut. So, so, alle …»
    Die Pausen zwischen den Sätzen werden länger, als wären die Informationen, die vom anderen Ende der Leitung eintreffen, jetzt gehaltvoller als das höfliche Geplänkel zu Beginn. Die nächste Pause zieht sich noch mehr in die Länge, Hugos Miene wandelt sich: Das Lächeln erstirbt, die Gesichtszüge erschlaffen, der Blick geht nach innen, so sehr richtet er seine Aufmerksamkeit auf das, was er hört. Plötzlich entfährt ihm ein gutturaler, vage zustimmender Laut. Er sieht zur Tür, aber Cova ist nicht mehr da. Dann schweigt er wieder, runzelt die Stirn und sagt in einem Tonfall, der ganz anders ist als eben noch, unsicher, zögernd: «Du … du spinnst, er wird nicht kommen.» Wieder hört er eine Weile nur zu. Als er erneut das Wort ergreift, klingt er entschlossen, wie jemand, der ein Gespräch beenden will.
    «Also gut. Im Prinzip ja. Ich muss es aber noch, na ja, ich muss noch schauen, ob … Genau, so machen wir das, ich ruf dich an. Nein, ehrlich, ich ruf dich an; ich muss nur … Okay, unter dieser Nummer, ja? Nein? Lieber auf dem Handy? Dann sag sie mir. Warte, ich geb sie gleich ein.»
    Hugo klemmt sich den Hörer unters Ohr und sagt laut die Zahlen vor sich hin, die er flink eintippt. Dann verabschiedet er sich mit einigen
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