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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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jetzt kommt er mit den Seinen die große Treppe herauf!« Damit
     verschwand er, als hätte ihn die Hölle verschluckt.
    Ludwig, der seit wenigen Minuten wieder auf seinem Schemel hockte, schoß mit funkelnden Augen in die Höhe.
    »Los, Descluseaux!« sagte er, »entzünde die Lunte!«
    Er zog den Degen, hängte ihn sich ans Handgelenk, damit er die Hände frei hatte für die Muskete, falls er schießen müßte,
     und während Descluseaux sich ihm mit der Waffe zugesellte und Luynes und ich blankzogen, rief er: »Auf! Denen brenne ich was
     in die Wänste!«
    Rasch durchmaß er das Vorzimmer, doch als er zur Tür hinaustrat, stieß er auf Monsieur d’Ornano, den Oberst der Korsen, der
     ihm zurief: »Sire! Wo wollt Ihr hin? Der Marschall von Ancre ist tot!«
    |457| »Ist das wirklich wahr, er ist tot?« fragte der König, dem noch die falsche Meldung des Unbekannten in den Ohren klang.
    »Es ist wahr, Sire!« schrie ein Edelmann, der außer Atem gelaufen kam. »Es ist wirklich wahr! Ich habe es mit eigenen Augen
     gesehen!«
    Dieser Edelmann, erfuhr ich später, war Monsieur de Cauvigny, derselbe, der die Bittschrift verfaßt hatte, die Concini las,
     als ihn das Pistolenfeuer der Verschworenen niedermähte. Herr im Himmel! Der Bursche hatte keine Minute gebraucht, um das
     Lager zu wechseln und dem König zu huldigen! Und, wer weiß, ihm vielleicht noch dieser Tage dieselbe Bittschrift einzureichen,
     die durch den Tod des Favoriten unbeantwortet blieb!
    Monsieur de Cauvigny war nicht der einzige, der sich wie ein Blatt im Wind gewendet hatte. Die Concini-Anhänger bekehrten
     sich so schnell und so grundsätzlich, daß es schon fast erbaulich war. Als Ludwig im Saal der Garden ein Fenster öffnete,
     das auf den Hof des Louvre ging, und sich zeigte, wurde er von einem solchen Beifall empfangen, daß man hätte glauben können,
     diese ganze Menge und nicht die paar zwanzig Getreuen hätten den Favoriten ausgelöscht. Fünf gut gezielte Pistolenschüsse
     hatten aus den Hunderten von Edelleuten, die Concini überall nachgelaufen waren und ihm die Hände geleckt hatten, ebenso überzeugte
     Königstreue gemacht wie die Handvoll Männer, die ihn zur Strecke gebracht hatten.
    Ludwig war trunken vor Glück. Sein Gesicht glühte, seine Brust ging hoch, er war noch gar keines Wortes mächtig. Sieben Jahre
     war es her seit dem Tod seines Vaters: sieben Jahre der Unterdrückung, der Kränkungen und Demütigungen unter der Fuchtel einer
     empfindungslosen Mutter. Und als er endlich die Sprache fand vor dieser ihm zujubelnden Menge, rief er mit einer vor Bewegung
     so erstickten Stimme, daß man sie kaum hörte: »Danke! Danke! Großen Dank Euch allen! Jetzt bin ich König!«
    * * *
    Ist es nicht merkwürdig, daß, wenn ein großes Ereignis sich vollzieht, das die Leidenschaften aufs äußerste bewegt, die schlimme
     Nachricht oft vor der guten kommt, so als besäße die |458| tiefe Angst vor einem Fehlschlag die Macht, Fantome zu erzeugen? Dies bewahrheitete sich im Louvre, wo jener Besagte dem König
     meldete, man habe den Marschall von Ancre verfehlt. Und es bewahrheitete sich auch in der Hauptstadt, wo eine Stunde nach
     dem Pistolenfeuer auf der ›schlafenden Brücke‹ das Gerücht umlief, der König, der so sehr geliebte kleine König sei von seiner
     Mutter und dem Scheusal Concini im Louvre eingesperrt worden, ja, er sei wie sein Vater von Mörderhand gefallen.
    Die Erregung war unerhört. Die Händler, die Stürmen des Aufruhrs entgegensahen, schlossen ihre Butiken und verbarrikadierten
     sie wie zur Nacht mit eisenbeschlagenen Läden. Ohne Kunden, ohne Händler mußte der Neue Markt schließen. Ob Männer, ob Frauen,
     jeder gab sich bei dieser furchtbaren Nachricht selbst frei, ließ seinen Stand, seinen Ausschank, seinen Ofen oder seine Nadel
     im Stich und stürzte auf Gassen und Straßen, die mit einemmal von unzähligen Menschen wimmelten.
    Bei den Gevatterinnen von Paris war es ein Heulen, Schluchzen und Wutgeschrei, das Concini in den Kot zerrte und Drohungen
     mit übelsten Schimpfwörtern gegen die Königinmutter richtete. Die Männer heulten wie angekettete Doggen, redeten mit heißen
     Köpfen davon, sich zu bewaffnen und den Tyrannen aus dem Louvre zu holen. Die großmäuligste Zunft der Hauptstadt, die Schuster
     mit dem berühmten Picard an der Spitze, war überall auf den Beinen, um Tagelöhner, ausgediente Soldaten und Stadtstreicher
     zum Aufstand anzustiften. Die schlagkräftigsten Zünfte
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