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Königskind

Königskind

Titel: Königskind
Autoren: R Merle
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nicht, und ich will sagen warum: So stark, wie die Franzosen sich für Frankreichs Vergangenheit interessieren, so sehr
     glauben sie auch an seine Zukunft. Das war selbst zu so tragischen Zeiten wie der deutschen Besetzung Frankreichs im letzten
     Weltkrieg nicht anders. Zum Beweis nenne ich die Tatsache, daß das soeben erwähnte schöne Buch von Emile Magne im Jahr 1942
     ein glänzender Verkaufserfolg wurde. Das heißt, obwohl sie litten unter Kälte, Hunger, unter der Inquisition der Gestapo,
     den traurigen Großtaten der Miliz und den Rassenverfolgungen, fanden die Franzosen es noch immer vergnüglich und nützlich,
     sich für das Alltagsleben unter Ludwig XIII. zu interessieren.
     
    Robert Merle

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    |9| ERSTES KAPITEL
    Es war am siebenundzwanzigsten Mai, traurig und so gut wie stumm saßen wir in unserem Haus in der Rue du Champ Fleuri beim
     Mittagessen, da trat Franz herein und fragte, ob unser Gesinde freihaben könne, um zur Hinrichtung zu gehen.
    »Das ganze Gesinde?« fragte mein Vater mit erhobener Braue.
    »Außer Margot und Greta, Herr Marquis, die sind zu schwachmütig und können kein Blut sehen, auch wenn es das Blut des abscheulichsten
     Verbrechers ist, den je die Erde trug.«
    Dieser schöne Satz hätte mich im Munde unseres Majordomus verwundert, hätte ich nicht gewußt, daß er ihn der jüngsten Predigt
     des Pfarrers Courtil verdankte.
    »Und Louison?« fragte ich.
    »Herr Chevalier«, sagte Franz mit einem Blick zu mir, woraufhin er aber sofort die Lider senkte, »Louison hält um diese Zeit
     Siesta.«
    »Und du, Franz, gehst du hin?« fragte La Surie.
    »Oh, nein, Herr Chevalier, ich bleibe hier.«
    Zurückhaltend, wie er war, sagte er nicht, warum, und keiner von uns fragte ihn. Wenn mein Vater es nicht ausdrücklich befahl,
     trennte sich Franz nicht von seiner Greta, der er seit fünfzehn Jahren in großer Liebe anhing. Diese Anhänglichkeit gefiel
     meinem Vater sehr, ohne daß er aber gedachte, sie ihm nachzutun. »Bei einem Haushofmeister«, sagte er, »dem so viele hübsche
     Kammerfrauen unterstehen, ist eheliche Treue eine wunderbare Eigenschaft. Stellt Euch den Hickhack in diesem Hause vor, wenn
     dem nicht so wäre!«
    »Geht der arme Faujanet auch?« fragte La Surie noch, wobei dieses ›arm‹ mehr Zuneigung als Mitleid bezeugte.
    »Oh, nein, Herr Chevalier«, sagte Franz, »sein Bein wird doch immer schlimmer, außerdem fürchtet er sich vor dem Pariser Gewühl.
     Ihr wißt doch, ohne seinen Brunnen und seinen Gemüsegarten fühlt er sich nicht wohl.«
    |10| »Gut, Franz«, sagte mein Vater, »wenn du nicht mitgehst, soll Poussevent die kleine Truppe anführen. Schick ihn mir her, die
     anderen auch.«
    So kamen sie ihrer sieben: unser riesiger Kutscher Lachaise mit seinem Pferdeknecht, unser Koch Caboche mit seinem Lehrjungen,
     Jeannot, unser kleiner Laufbursche, und zum Schluß des Aufzugs unsere zwei starken Soldaten Pissebœuf und Poussevent, beide
     mit Bauch und Vollbart.
    »Meine guten Kinder«, sagte mein Vater, »ich denke, daß euch keine Bosheit treibt, wenn ihr zusehen wollt, wie der Elende
     unter Qualen den Tod erleidet, sondern daß ihr euch nur in dem tiefen Kummer stärken wollt, in den euch die Ermordung unseres
     guten Königs Henri gestürzt hat. Nur wird es um das Rad einen gewaltigen Volksauflauf geben, mit all den Übergriffen und Ausschreitungen,
     die eine erhitzte Menge mit sich bringt. Hütet euch also, euch in Händel einzulassen, nehmt euch in acht vor Beutelschneidern
     und Mantelschnäppern und schützt mir unsere Kammerfrauen vor unverschämten Kerlen.«
    »Wir geben acht, Herr Marquis«, sagte Poussevent mit entschlossener Miene.
    »Und bleibt mir dort auch selbst besonnen«, fuhr mein Vater fort. »Ich möchte nicht, daß sich morgen jemand bei mir über meine
     Leute beschwert. Und noch eines: sobald der Delinquent Wind und Atem gelassen hat, macht ihr kehrt, kein Schlendern, keine
     Schenkenbesuche. Greta wird euch hier mit einem guten Happen erwarten.«
    Obwohl unsere Leute uns so ergeben und zugetan waren, konnte meine liebe Patin, die Herzogin von Guise, sich nie genug über
     deren geringe Anzahl aufhalten. »Ganze zwei Dutzend!« mäkelte sie eines Tages. – »Siebzehn, um genau zu sein«, sagte mein
     Vater. – »Siebzehn! Eine solche Knickerei ist Eures Ranges unwürdig.« – »Ich messe meinen Rang nicht nach solcher Elle«, gab
     mein Vater zurück. »Nicht die Anzahl der Leute gilt, sondern wie sie mir dienen. In
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