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Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne

Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne

Titel: Anne - 01 - Anne - 01 - Das Leben wird schöner Anne
Autoren: Berte Bratt
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Die Leute vom Möwenfjord
    Östlich von Möwenfjord lag der Schwarzbuckel. Ein hoher Berg war es, mit seinen Schatten raubte er dem Hof die Morgensonne. Von den Kindern, die auf Möwenfjord aufwuchsen, hat es viele gegeben, die nie einen Sonnenaufgang gesehen hatten, bevor sie halb erwachsen waren.
    Die Bucht, in der der Hof lag, war nach Süden und Südwesten hin geöffnet. Um die Mittagsstunde fiel der erste Sonnenstrahl in das enge Tal hinein, und am Nachmittag konnten die kleinen alten Gebäude tief drinnen - das niedrige Wohnhaus, die Scheune, die Räucherkate und das Vorratshaus - sich so recht in Sonne baden. Jedenfalls im Sommer. Zur Winterszeit aber kam die Sonne auch nachmittags nicht bis dorthin. Da versank sie schon hinter der Meereskimmung, bevor sie noch das Tal erreicht hatte.
    Wenn aber der Schwarzbuckel und die winterliche Dunkelheit sich um den Hof von Möwenfjord zusammengeballt hatten, dann waren die Häuser und die Leute der Einsamkeit und Stille überlassen - einer Stille, die nur vom Donnern des Wasserfalls und der Brandung unterbrochen wurde; aber das Donnern des Falls und der Brandung gehörte dazu, und dies Geräusch hatte die Menschen auf Möwenfjord hundert Jahre lang begleitet. Ja, denn es war über hundert Jahre her, seit der Hof gebaut worden war.
    Damals hatte ein Fußweg über den Berg und zum Dorf geführt. Später war der Fußweg verbreitert und zum brauchbaren Fahrweg geworden. Zu jener Zeit war es ein leichtes, zur Kirche und zum Krämer zu gelangen. Und war jemand krank auf Möwenfjord, dann konnte der Doktor immer kommen, ganz gleich, wie das Wetter war.
    Aber dann kam der große Steinschlag. Annes Urgroßvater hatte ihn erlebt, und der hatte Annes Großvater und Vater immer wieder davon erzählt. Es war, wie wenn das Jüngste Gericht selber angebrochen wäre, als ein Stück vom Schwarzbuckel sich löste und Tonnen von Steinen und Geröll in den Fjord stürzten. Der Fjord trat über die Ufer, er überflutete das Tal.
    Viel vom Dorf wurde damals mitgerissen, und der Weg zwischen dem Dorf und dem Hof Möwenfjord wurde auch zerstört. Nachdem die Flutwelle wieder zurückgewogt war und der Fjord dalag wie immer, aber voller Balken von den zerstörten Häusern, voll vom Grauen der Verwüstung, da befand sich, wo einst der Weg gewesen war, nur noch glatter, harter, jählings abstürzender Fels. Erde und Wald waren weggespült und weggerissen worden. Und jetzt fiel der Schwarzbuckel in einem einzigen steilen, ununterbrochenen Sturz geradewegs in den Fjord ab.
    Die Gebäude von Möwenfjord aber waren verschont geblieben. Und die Leute kamen mit dem Schrecken davon. Aber von diesem Tage an war der Hof abgeschnitten; und wollte man zu ihm gelangen, dann war es nur noch mit dem Boot möglich.
    Wenn zur Sommerzeit die großen Vergnügungsdampfer vorüberfuhren, dann standen die Fahrgäste mit Fernglas und Fotoapparat an der Reling, und immer wurde in vielen verschiedenen Sprachen dasselbe gesagt: »Wie in aller Welt können Leute so wohnen? Wie kommt man zu diesem Hof hin? Könnt ihr irgendeinen Weg sehen?« Niemand sah einen Weg. Aus dem einfachen Grund, weil es keinen gab.
    Ja, sie lebten fortan sehr abgeschieden, die Leute aus Möwenfjord. Selten nur geschah es, daß sie zum Krämer fuhren -und wenn sie es taten, dann kauften sie so viel Kaffee, Zucker und Tabak ein, daß sie für eine Weile genug hatten. Beim Krämer verkauften sie auch die Produkte des Hofes, vor allem Schaffleisch und Wolle. Die Frauen auf Möwenfjord waren berühmt wegen ihres feinen Garnes, und die Wolle war von guter Qualität.
    Im wesentlichen begnügten sie sich mit dem, was der Hof hervorbrachte. Sie mahlten sogar ihr Korn selbst in der Mühle, die der Urgroßvater erbaut hatte. Sie strickten und webten, sie schlachteten selbst und sie setzten ihre Häuser selbst instand.
    Sie waren auch für ihre Schweigsamkeit bekannt. Für ihre Schweigsamkeit und Zuverlässigkeit. Man sah sie selten lächeln, man hörte sie niemals laut lachen. Aber sie waren arbeitsam und ehrlich, gutherzig und vergnügt, auf ihre eigene stille Art. Sie waren das geworden, was der Schwarzbuckel und die Einsamkeit aus ihnen gemacht hatten.
    Eine Neigung war fast allen gemeinsam: sie liebten Musik. In seiner Jugend hatte Annes Vater auf einer Auktion eine Violine gekauft und hatte das Spielen von allein gelernt. Und als Anne noch klein war, geschah es oft, daß sie sich zum Vater hinschlich und ihn bat: »Spiel mir etwas vor, Vater.«
    Selten
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