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Knuddelmuddel

Knuddelmuddel

Titel: Knuddelmuddel
Autoren: Annegret Heinold
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sein?“
    „Der Senhor do Adeus“, sagt der Taxifahrer, während wir Stop and Go vorankriechen. Vorteil: Ich kann mir in Ruhe den Mann im Mittelpunkt der Menschentraube betrachten. Ein mittelalter Mann in einem grauen Anzug, gepflegt. Winkend. Nachteil: Es wird lange dauern, bis ich zu Hause ankomme, und teuer wird es vermutlich auch. „Er war ein alter Mann, der niemanden mehr zu Hause hatte und der deswegen sein Leben hier auf dem Saldanha verbracht hat. Immer perfekt gekleidet. Stundenlang. Er hat den Autos und den Passanten zugewinkt. Tag für Tag. Jahrelang.“
    „Das ist ja furchtbar“, sage ich.
    „Ach, ich weiß nicht“, sagt der Taxifahrer. „So hatte er wenigstens eine Aufgabe im Leben. Er hat sogar eine gewisse Berühmtheit erlangt. Jemand hat einen Fado über ihn geschrieben. Und als er gestorben ist, hat das Fernsehen sogar in den Abendnachrichten über ihn berichtet.“
    „Es ist trotzdem traurig“, sage ich. „Er muss furchtbar einsam gewesen sein...“
    „ Er wollte den leeren Wänden seiner Wohnung entfliehen“, sagt der Taxifahrer. “A solidão é uma senhora malvada, die Einsamkeit ist eine üble Dame, das waren seine Worte.”
    „So ganz alleine“, sage ich. „So alleine, dass man am Straßenrand steht und Fremden zuwinkt. So ganz ohne Freunde.“
    „Oh, er hatte Freunde“, sagt der Taxifahrer. „Er hatte zwei Freunde, mit denen ist er jeden Sonntag ins Kino gegangen. Und im Angedenken an den Senhor stellt sich ab und an jemand hin und macht den Senhor do Adeus. Ich finde das eine schöne Geste, so gerät er nicht in Vergessenheit.“
     
    Ich schließe die Tür zu meiner Wohnung auf. Es ist noch so früh, das kommt, wenn man so früh aufsteht, weil die Flüge so früh gehen, da kommt es einem mittags schon ganz spät vor, dabei ist es noch nicht mal eins. Ich stehe unschlüssig in der Diele. Ich habe plötzlich die Vision, dass ich in Lissabon stehe oder in Hamburg, in Winterhude auf dem Goldbekmarkt vielleicht und fremden Leuten zuwinke. Und am Sonntag gehe ich mit Bine und Andrea ins Kino.
    Und da endlich greife ich zum Telefonhörer und mache den Anruf, den ich wohl schon längst mal hätte machen sollen.

XXI
    „Danke, dass du so schnell gekommen bist“, sage ich.
    „Gern geschehen“, sagt João.
    Wie vertraut er mir ist. Er hat wieder den grauen Pullover an, den, der ihm so gut steht. Besonders, wenn der Kragen hochsteht. Den Pullover, den wir am Sprich-wie-ein-Pirat-Tag in Figueira da Foz gekauft haben. Er trägt die alte Lederjacke, die, von der er sich nicht trennen kann. Alles so vertraut. Ich bin froh, dass ich ihn angerufen habe, und ich bin froh, dass er gleich gesagt hat, Elke, wenn du Lust hast, dann komm doch ins Kachelmuseum, ich bin sowieso in der Innenstadt und dann können wir da zu Mittag essen, wenn du willst. Ich lade dich ein.
    Jetzt sitzen wir hier und warten auf das Essen, drinnen, weil es draußen zu kühl ist, und außerdem sieht es aus, als ob es gleich regnen wird. Während wir auf das Essen warten, knabbern wir an Brot und Oliven, wie es hier immer noch üblich ist. Ich greife in die Tasche und lege den Ring auf den Tisch.
    „Hübscher Ring“, sagt João.
    „Kam vor ein paar Wochen mit der Post“, sage ich.
    „Jetzt erst?“, sagt João. „Was sagt man dazu.“
    „Ich kann den Ring nicht annehmen“, sage ich. „Wir sind nicht mehr zusammen.“
    „Ich habe ihn abgeschickt, als wir noch zusammen waren“, sagt der João. „Es ist also kein Problem, wenn du ihn annimmst.“
    „Doch ist es“, sage ich.
    „Ich schenke ihn dir“, sagt der João.
    „Schenk ihn lieber Vivian“, sage ich. „Aber schick ihn nicht wieder mit der Post, wer weiß, wie lange die braucht.“
    „Es ist egal, ob ich ihn mit der Post schicke oder nicht“, sagt João, „es ist sowieso zu spät.“
    Hallo, habe ich richtig gehört? Zu spät? Und wieso spüre ich in diesem Moment mein Herz? Und meinen Bauch? Und Schmetterlinge? Ich sehe nach draußen, wir hätten doch draußen sitzen können, im Patio, ich liebe diesen Patio, es sieht auch überhaupt nicht mehr nach Regen aus, eher als ob gleich die Sonne rauskäme. Dann sehe ich wieder zu João. Er hat total nette Lachfalten um die Augen. Das hatte ich ganz vergessen. Oder sollte ich sagen: verdrängt, weil jede Erinnerung an ihn so wahnsinnig weh tat?
    „Zu spät?“, sage ich vorsichtig.
    „Vivian und ich haben uns getrennt“, sagt João. Und ich frage nicht nach, wer sich von wem getrennt hat, das will
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