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Knuddelmuddel

Knuddelmuddel

Titel: Knuddelmuddel
Autoren: Annegret Heinold
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war, als ich ein Kind war. Sie hat darauf bestanden, dass ich ein Instrument lerne und dass ich jeden Tag übe, und ich bin ihr heute dafür dankbar, sogar dafür, dass ich täglich üben musste. Deswegen spiele ich Klavier. Das heißt, jetzt natürlich nicht mehr, denn es ist ja kein Klavier mehr da. Ich sehe auf die leere Wand. Auf die Lücke, die da zwischen den Bücherregalen klafft. Auf die verblichene Farbe an der Wand, die Spinnenweben und die Spuren auf dem Parkett.
    Ich drehe mich, sehe aus dem Fenster und versuche mir vorzustellen, was aus meinem Leben werden soll. Im Hintergrund spielt die Musik von Yann Tiersen, die Filmmusik aus der wunderbaren Welt der Amélie und führt dazu, dass ich hier fast abdrifte. La Valse d`Amélie , der Walzer der Amélie, den habe ich auch immer gespielt. Als ich noch ein Klavier hatte. Und der João hier wohnte. Als wir noch glücklich waren und eine Zukunft hatten.
    Ich stehe in meiner Wohnung in der Rua Ferreira Borges. Diele, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad. Nicht groß, aber ausreichend. Die Rua Ferreira Borges ist in Lissabon, genauer gesagt in Campo de Ourique. Campo de Ourique ist ein angenehmes Wohnviertel, nah an der Innenstadt und doch fühlt sich das Leben ein bisschen an wie in einer Kleinstadt. Viele Cafés und Restaurants. Hier gibt es alles vom einfachen Mittagstisch in der Tasca von Sr Ventura bis hin zum teuren Abendessen bei Chez Michelle , wo ein deutscher Koch neue französische Küche zelebriert. Dazu alle möglichen Läden. Von der Boutique Cecilia bis zum Billig-Chinesen-Klamotten-Laden. Es gibt einen Laden, in dem nur Halbedelsteine verkauft werden. Türkise, Korallen, Aquamarine. Lose oder als Kette. Die Steine gefaßt und ungefaßt. Ich habe mir dort vor Weihnachten eine in Silber gefaßte Koralle gekauft und der Besitzer hat mir dazu ein Lederhalsband in der passenden Größe gebastelt.
    An der Kreuzung hat Sr Antonio seit der Revolution seinen Papierladen, wo er Schreibhefte und Schulbücher verkauft und die Kunden mit Namen begrüßt. An der Ecke vor dem Café Covas gibt es einen Kiosk, wo Dona Silvina Zeitungen verkauft, seit ich auf der Welt bin. Und sie wird auch nicht damit aufhören, nur weil sie eigentlich schon längst im Rentenalter ist.
    Auf der Rua Ferreira Borges fahren die Autos in einer nicht abreißenden Schlange die Straße entlang. Meine Wohnung liegt im zweiten Stock, das schafft Abstand zur realen Welt. Das macht es nicht besser.
    Mein Gott, ist dieses Stück schön. Melancholie pur. Ich weiß noch, wie ich es einmal hier in dieser Wohnung gespielt habe. Es war im September, die Taschen waren schon gepackt, weil wir für ein paar Tage nach Figueira da Foz ans Meer fahren wollten. Ich wartete auf João, der noch irgendwas für sein Büro regeln mußte und spielte solange Klavier. Schon früher in unseren Hamburger WG-Zeiten mit Bine und Andrea habe ich die Wartezeiten so überbrückt. Mit Klavierüben. Das Fenster war auf und ein Windstoß wehte die Gardine ins Zimmer. Plötzlich merkte ich, dass João hinter mir stand. Und obwohl wir uns nicht berührten, hatte ich ein Gefühl von unglaublicher Nähe.
    Plötzlich die Überzeugung, wenn ich mich jetzt umdrehe, dann steht dort wieder das Klavier und alles ist wie früher. Ich drehe mich um. Da ist die Lücke im Bücherregal. Die verblichene Farbe an der Wand. Die Spuren auf dem Parkett.
    In diesem Moment ist die CD zu Ende. Ich gehe zum CD-Spieler und lasse die CD noch einmal von vorne laufen. (Ja, ich weiß, das ist nicht gesund).
    Ich sehe wieder aus dem Fenster.
    Es ist ein kalter Apriltag, eigentlich müßte es um diese Jahreszeit schon viel wärmer sein, aber es ist bedeckt und regnerisch. Ein Mann geht zwischen den Ampeln über die Straße, ohne sich darum zu kümmern, ob sie rot oder grün sind, für wen auch immer, Autos oder Fußgänger, er geht zwischen den Autos quer über die Straße, mit schnellem Schritt und schlägt im Gehen den Kragen seiner Jacke hoch. Vor der Boutique Cecilia hält ein Lieferwagen, er bleibt einfach stehen und versperrt die halbe Straße, aber was soll er auch sonst tun, Parkplätze gibt es hier nicht und schon garnicht jetzt mitten am Tag. Ein paar Autos hupen, aber im Großen und Ganzen nehmen sie es alle einfach hin. Jeder kennt das Problem. (Fast) jeder ist der nächste Falschparker. Ich bin richtig froh, dass ich hier in dieser Stadt kein Auto habe (anderswo allerdings auch nicht, mmhh). Parkplätze findet man hier, wenn überhaupt,
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