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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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im Gesicht, grau, unrasiert,
    mit langen Schritten rannte er durch den
    29
    Raum. Der Fremde brachte Grüße aus Pa-
    ris und Genf, sprach seine Verehrung aus.
    Klingsor ging auf und ab, schien nicht zu
    hören. Verlegen schwieg der Gast und be-
    gann sich zurückzuziehen, da trat Klingsor
    zu ihm, legte ihm die farbenbedeckte Hand
    auf die Schulter, sah ihm nah ins Auge.
    »Danke«, sagte er langsam, mühsam,
    »danke, lieber Freund. Ich arbeite, ich kann
    nicht sprechen. Man spricht zu viel, immer.
    Seien Sie mir nicht böse, und grüßen Sie
    mir meine Freunde, sagen Sie ihnen, daß
    ich sie liebe.« Und verschwand wieder ins
    andere Zimmer.
    Das fertige Bild stellte er, am Ende dieser
    gepeitschten Tage, in die unbenutzte leere
    Küche und schloß ab. Er hat es nie gezeigt.
    Dann nahm er Veronal und schlief einen
    Tag und eine Nacht hindurch. Dann wusch
    er sich, rasierte sich, legte neue Wäsche und
    Kleider an, fuhr zur Stadt und kaufte Obst
    und Zigaretten, um sie Gina zu schenken.

    Klingsor an Edith
    Heut spiel ich dir ein Lied
    Auf gedämpfter Saite am
    Winterabend,
    Ein Lied aus der grünen Zeit,
    Da uns die Waldnacht zärtlich
    Mit Liebeslaubgeflüster in sich sog.
    Leise schleicht die Dämmerung
    Die vergessenen Pfade mein Lied,
    Ach, die nie vergessenen,
    Wo ich Klingsors heimliche Krone trug
    Und im glühenden Julimond
    Fromm den Göttern des Weins und der
    Liebe geopfert.
    Seid ihr alle denn tot, geliebte
    Bilder jener verzauberten Zeit?
    Ja, ihr starbt, ihr welktet! Ich aber
    Lebe, und wenn mir der nächste Sturm
    Eure Asche vom Haupt und den Schleier
    vom Herzen reißt,
    Funkelt die Krone, glühn alle Sterne neu,
    Und die schwellenden Wälder rufen
    Meinen Namen und meine Liebe dir zu.
    33
    Klingsor an den »Schatten«
    Das Karussell war in der Nacht
    verglüht,
    Der Tanz zu Ende, die Musik versprüht,
    Vom Wein die Tafel rot.
    Wir saßen noch und starrten, müd vom
    Wein,
    Schwül kam der Wind durchs offne Tor
    herein,
    Im Garten stand der Tod.
    Du deinen Weg, ich meinen, gingen wir
    Schweigend hinweg und suchten
    Nachtquartier,
    Die Freude war verloht.
    Und seither tönt der Nachtwind mir im
    Ohr
    Von damals, und an jedem Weg und Tor
    Steht immer noch der Tod.
    34
    Gedenken an den Sommer Klingsors
    Zehn Jahre schon, seit Klingsors
    Sommer glühte
    Und ich mit ihm die warmen Nächte lang
    Bei Wein und Frauen so verloren blühte
    Und seine trunknen Klingsor-Lieder sang!
    Wie anders schau᾽n und nüchtern jetzt die
    Nächte,
    Wie so viel stiller geht mein Tag einher!
    Wenn auch ein Zauberwort mir
    wiederbrächte
    Den Rausch von einst – ich wollte ihn nicht
    mehr.
    Das eilige Rad nicht mehr zurückzurollen,
    Still zu bejah᾽n den leisen Tod im Blut,
    Nicht mehr das Unausdenkliche zu wollen,
    Ist meine Weisheit jetzt, mein Seelengut.
    Ein andres Glück, ein neuer Zauber faßten
    Seither mich manchmal: nichts als Spiegel
    sein,
    Darin für Stunden, so wie Mond im Rhein,
    Der Sterne, Götter, Engel Bilder rasten.
    35
    Erinnerung an Klingsors Sommer
    K lingsors letzter Sommer und die mit ihm
    damals im gleichen Bande erschie-
    nene Erzählung Klein und Wagner sind im
    selben Sommer, einem für die Welt und für
    mich ungewöhnlichen und einmaligen
    Sommer, entstanden. Es war im Jahre
    99. Der vierjährige Krieg war zu Ende,
    die Welt schien in Scherben geschlagen,
    Millionen von Soldaten, von Kriegsgefan-
    genen, von Bürgern kehrten aus Jahren des
    starren uniformierten Gehorchens in eine
    so ersehnte wie gefürchtete Freiheit zu-
    rück. Der Krieg, der große Weltregent,
    war gestorben und begraben; leer wartete
    eine veränderte und verarmte Welt auf ent-
    lassene Sklaven. Jeder hatte sich nach die-
    ser Welt und nach freier Bewegung in ihr
    glühend gesehnt, und jedem war doch auch
    bange vor der Entlassung und Freiheit, vor
    den unvertraut gewordenen Bezirken des
    Privaten und Eigenen, vor der Verantwor-
    tung, die jede Freiheit bedeutet, vor den
    lang unterdrückten und beinahe zu Fein-
    den gewordenen Regungen, Möglichkei-
    ten und Träumen des eigenen Herzens. Auf
    36
    viele wirkte die neue Atmosphäre wie ein
    Rauschgift. Viele hatten im Augenblick
    der Befreiung zu nichts anderem Lust, als
    alles in Trümmer zu hauen, wofür sie diese
    Jahre gekämpft und geblutet hatten. Jeder
    hatte das Gefühl, etwas verloren und ver-
    säumt zu haben, ein Stück Leben, ein Stück
    vom Ich, ein Stück Entwicklung, Anpas-
    sung und Lebenskunst. Es gab junge Män-
    ner, welche noch in
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