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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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und
    mannigfaltig, durch diese grüne hohe Tür
    läutet sie Tag und Nacht zu mir herauf und
    schreit und fordert, und immer wieder
    renne ich hinaus und reiße ein Stück davon
    an mich, ein winziges Stück. Die grüne
    Gegend hier ist durch den trocknen Som-
    mer jetzt wunderbar licht und rötlich ge-
    worden, ich hätte nie gedacht, daß ich wie-
    der zu Englischrot und Siena greifen
    würde. Dann steht der ganze Herbst bevor,
    Stoppelfelder, Weinlese, Maisernte, rote
    4

    Wälder. Ich werde das alles noch einmal
    mitmachen, Tag für Tag, und noch einige
    hundert Studien malen. Dann aber, das
    fühle ich, werde ich den Weg nach innen
    gehen und noch einmal, wie ich es als jun-
    ger Kerl eine Weile tat, ganz aus der Erin-
    nerung und Phantasie malen, Gedichte ma-
    chen und Träume spinnen. Auch das muß
    sein.
    Ein großer Pariser Maler, den ein junger
    Künstler um Ratschläge bat, hat ihm ge-
    sagt: »Junger Mann, wenn Sie ein Maler
    werden wollen, so vergessen Sie nicht, daß
    man vor allem gut essen muß. Zweitens ist
    die Verdauung wichtig, sorgen Sie für ei-
    nen regelmäßigen Stuhlgang! Und drit-
    tens: halten Sie sich stets eine hübsche
    kleine Freundin!« Ja, man sollte meinen,
    diese Anfänge der Kunst habe ich gelernt,
    und es könne mir hierin eigentlich kaum
    fehlen. Aber dies Jahr, es ist verflucht,
    stimmt es bei mir auch in diesen einfachen
    Dingen nicht mehr recht. Ich esse wenig
    und schlecht, oft ganze Tage nur Brot, ich
    habe zuzeiten mit dem Magen zu tun (ich
    sage Dir: das Unnützeste, was man zu tun
    haben kann!), und ich habe auch keine rich-
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    tige kleine Freundin, sondern habe mit
    vier, fünf Frauen zu tun und bin ebensooft
    erschöpft wie hungrig. Es fehlt etwas am
    Uhrwerk, und seit ich mit der Nadel hin-
    eingestochen habe, läuft es zwar wieder,
    aber rasch wie der Satan, und rasselt so
    unvertraut dabei. Wie einfach ist das Le-
    ben, wenn man gesund ist! Du hast noch
    nie einen so langen Brief von mir bekom-
    men, außer vielleicht damals in der Zeit,
    wo wir über die Palette disputierten. Ich
    will aufhören, es geht gegen fünf Uhr, das
    schöne Licht fängt an. Sei gegrüßt von
    Deinem
    Klingsor.
    Nachschrift:
    Ich erinnere mich, daß Du ein kleines Bild
    von mir gern hattest, das am meisten chi-
    nesische, das ich gemacht habe, mit der
    Hütte, dem roten Weg, den veronesergrü-
    nen Zackenbäumen und der fernen Spiel-
    zeugstadt im Hintergrund. Ich kann es jetzt
    nicht schicken, weiß auch nicht, wo Du
    bist. Aber es gehört Dir, das möchte ich
    Dir für alle Fälle sagen.
    Klingsor schickt
    seinem Freund Thu Fu ein Gedicht
    [Aus den Tagen, in welchen er an seinem Selbstbildnis malte]
    Trunken sitz ich des Nachts im
    durchwehten Gehölz,
    An den singenden Zweigen hat der Herbst
    genagt;
    Murmelnd läuft in den Keller,
    Meine leere Flasche zu füllen, der Wirt.
    Morgen, morgen haut mir der bleiche Tod
    Seine klirrende Sense ins rote Fleisch,
    Lange schon auf der Lauer
    Weiß ich ihn liegen, den grimmen Feind.
    Ihn zu höhnen, sing ich die halbe Nacht,
    Lalle mein trunkenes Lied in den müden
    Wald;
    Seiner Drohung zu lachen
    Ist meines Liedes und meines Trinkens
    Sinn.
    Vieles tat und erlitt ich, Wanderer auf
    langem Weg,
    Nun am Abend sitz ich, trinke und warte
    bang,
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    Bis die blitzende Sichel
    Mir das Haupt vom zuckenden Herzen
    trennt.
    Das Selbstbildnis
    In den ersten Septembertagen, nach vielen
    Wochen einer ungewöhnlichen trocknen
    Sonnenglut, gab es einige Regentage. In
    diesen Tagen malte Klingsor, in dem hoch-
    fenstrigen Saal seines Palazzos in Castag-
    netta, sein Selbstporträt, das jetzt in Frank-
    furt hängt.
    Dies furchtbare und doch so zauberhaft
    schöne Bild, sein letztes ganz zu Ende ge-
    führtes Werk, steht am Ende der Arbeit
    jenes Sommers, am Ende einer unerhört
    glühenden, rasenden Arbeitszeit, als deren
    Gipfel und Krönung. Vielen ist es aufgefal-
    len, daß jeder, der Klingsor kannte, ihn auf
    diesem Bilde sofort und unfehlbar wieder-
    erkannte, obwohl niemals ein Bildnis sich
    so weit von jeder naturalistischen Ähnlich-
    keit entfernte.
    Wie alle späteren Werke Klingsors, so
    kann man auch dies Selbstbildnis aus den
    verschiedensten Standpunkten betrachten.
    Für manche, zumal solche, die den Maler
    nicht kannten, ist das Bild vor allem ein
    Farbenkonzert, ein wunderbar gestimm-
    ter, trotz aller Buntheit still und edel wir-
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    kender Teppich. Andre sehen darin einen
    letzten kühnen, ja verzweifelten
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