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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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bist! Was für ein Glück ich
    habe, grade jetzt, wo ich so allein und trau-
    rig war!«
    »Traurig? Macht mir nichts vor, Herr, Ihr
    seid ein Spaßmacher, kein Wort darf man
    Euch glauben. Na, ich muß aber weiter.«
    »Oh, dann begleite ich dich.«
    »Es ist nicht Euer Weg und ist auch nicht
    nötig. Was soll mir passieren?«
    »Dir nichts, aber mir. Wie leicht könnte
    einer kommen und dir gefallen und ginge
    mit dir und küßte deinen lieben Mund und
    deinen Hals und deine schöne Brust, ein
    andrer statt meiner. Nein, das darf nicht
    sein.«
    Er hatte die Hand um ihren Nacken gelegt
    und ließ sie nicht mehr los.
    »Stern, mein kleiner! Schatz! Meine kleine
    süße Pflaume! Beiß mich, sonst esse ich
    dich.«
    Er küßte sie, die sich lachend zurückbog,
    auf den offnen, starken Mund, zwischen
    Sträuben und Widerreden gab sie nach,
    küßte wieder, schüttelte den Kopf, lachte,
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    suchte sich freizumachen. Er hielt sie an
    sich gezogen, seinen Mund auf ihrem, seine
    Hand auf ihrer Brust, ihr Haar roch wie
    Sommer, nach Heu, Ginster, Farnkraut,
    Brombeeren. Einen Augenblick tief Atem
    schöpfend, bog er den Kopf zurück, da sah
    er am verglühten Himmel klein und weiß
    den ersten Stern aufgegangen. Die Frau
    schwieg, ihr Gesicht war ernst geworden,
    sie seufzte, sie legte ihre Hand auf seine und
    drückte sie fester um ihre Brust. Er bückte
    sich sanft, drückte ihr den Arm in die Knie-
    kehlen, die nicht widerstrebten, und bet-
    tete sie ins Gras.
    »Hast du mich lieb?« fragte sie wie ein
    kleines Mädchen. »Povera me!«
    Sie tranken den Becher, Wind strich über
    ihr Haar und nahm ihren Atem mit.
    Ehe sie Abschied nahmen, suchte er im
    Rucksack, in seinen Rocktaschen, ob er ihr
    nichts zu schenken habe, fand eine kleine
    silberne Taschendose, noch halb voll von
    Zigarettentabak, die leerte er aus und gab
    sie ihr.
    »Nein, kein Geschenk, gewiß nicht!« versi-
    cherte er. »Nur ein Andenken, daß du mich
    nicht vergißt.«
    05
    »Ich vergesse dich nicht«, sagte sie. Und:
    »Kommst du wieder?«
    Er wurde traurig. Langsam küßte er sie auf
    beide Augen.
    »Ich komme wieder», sagte er.
    Noch eine Weile hörte er, regungslos ste-
    hend, ihre Schritte auf den Holzsohlen
    bergabwärts klingen, über den Wiesen-
    grund, durch den Wald, auf Erde, auf Fels,
    auf Laub, auf Wurzeln. Nun war sie fort.
    Schwarz stand der Wald in der Nacht, lau
    strich der Wind über die erloschene Erde.
    Irgend etwas, vielleicht ein Pilz, vielleicht
    ein welkes Farnkraut, roch scharf und bit-
    ter nach Herbst.
    Klingsor konnte sich nicht zur Heimkehr
    entschließen. Wozu jetzt den Berg hinauf-
    steigen, wozu in seine Zimmer zu all den
    Bildern gehen? Er streckte sich ins Gras
    und lag und sah die Sterne an, schlief end-
    lich ein und schlief, bis spät in der Nacht
    ein Tierschrei oder ein Windstoß oder die
    Kühle des Taus ihn erweckte. Dann stieg
    er nach Castagnetta hinauf, fand sein Haus,
    seine Tür, seine Zimmer. Briefe lagen da
    und Blumen, es war Freundesbesuch dage-
    wesen.
    06

    So müde er war, er packte doch, nach der
    alten zähen Gewöhnung, in aller Nacht
    noch seine Sachen aus und sah beim Lam-
    penlicht die Skizzenblätter des Tages an.
    Das Waldinnere war schön, Gekraut und
    Gestein im lichtdurchzuckten Schatten
    glänzte kühl und köstlich wie eine Schatz-
    kammer. Es war richtig gewesen, daß er
    nur mit Chromgelb, Orange und Blau ge-
    arbeitet und das Zinnobergrün weggelas-
    sen hatte. Lange sah er das Blatt an.
    Aber wozu? Wozu alle die Blätter voll
    Farbe? Wozu all die Mühe, all der Schweiß,
    all die kurze, trunkene Schaffenslust? Gab
    es Erlösung? Gab es Ruhe? Gab es Frie-
    den?
    Erschöpft sank er, kaum entkleidet, ins
    Bett, löschte das Licht, suchte nach Schlaf
    und summte leise die Verse Thu Fus vor
    sich hin:
    »Bald klirrt der Wind
    Über mein braunes Grab.«
    Klingsor schreibt an Louis den Grausamen
    Caro Luigi! Lange hat man Deine Stim-
    me nicht mehr gehört. Lebst Du noch
    am Lichte? Nagt schon der Geier Dein
    Gebein?
    Hast Du einmal mit einer Stricknadel in
    einer stehengebliebenen Wanduhr gesto-
    chert? Ich tat es einmal, und habe es erlebt,
    daß plötzlich der Teufel in das Werk fuhr
    und die ganze vorhandene Zeit abrasselte,
    die Zeiger machten Wettrennen ums Zif-
    ferblatt, mit einem unheimlichen Geräusch
    drehten sie sich wahnsinnig fort, prestis-
    simo, bis ebenso plötzlich alles ab-
    schnappte und die Uhr den Geist aufgab.
    Genau so ist es zur Zeit hier bei uns:
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