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Klingsors letzter Sommer

Klingsors letzter Sommer

Titel: Klingsors letzter Sommer
Autoren: Hermann Hesse
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hast du mich und dich selber am Ende
    getäuscht? Laß uns trinken, Li, laß uns
    untergehen!«
    Zorn quoll in Klingsor empor. Auf stand
    er, stand aufrecht und hoch, der alte Sper-
    ber mit dem scharfen Kopf, spie in den
    Wein, zerschmiß seine volle Tasse am Bo-
    den. Weithin spritzte der rote Wein in den
    Saale, die Freunde wurden bleich, fremde
    Menschen lachten.
    Aber schweigend und lächelnd holte der
    Magier eine neue Tasse, schenkte sie lä-
    chelnd voll, bot sie lächelnd Li Tai an. Da
    lächelte Li, da lächelte auch er. Über sein
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    verzerrtes Gesicht lief das Lächeln wie
    Mondlicht.
    »Kinder«, rief er, »laßt diesen Fremdling
    reden! Er weiß viel, der alte Fuchs, er
    kommt aus einem versteckten und tiefen
    Bau. Er weiß viel, aber er versteht uns
    nicht. Er ist zu alt, um Kinder zu verste-
    hen. Er ist zu weise, um Narren zu verste-
    hen. Wir, wir Sterbenden, wissen mehr
    vom Tode als er. Wir sind Menschen, nicht
    Sterne. Seht da meine Hand, die eine kleine
    blaue Schale voll Wein hält! Sie kann viel,
    diese Hand, diese braune Hand. Sie hat mit
    vielen Pinseln gemalt, sie hat neue Stücke
    der Welt aus dem Finstern gerissen und vor
    die Augen der Menschen gestellt. Diese
    braune Hand hat viele Frauen unterm Kinn
    gestreichelt, und hat viele Mädchen ver-
    führt, viel ist sie geküßt worden, Tränen
    sind auf sie gefallen, ein Gedicht hat Thu
    Fu auf sie gedichtet. Diese liebe Hand,
    Freunde, wird bald voll Erde und voll Ma-
    den sein, keiner von euch würde sie mehr
    anrühren. Wohl, eben darum liebe ich sie.
    Ich liebe meine Hand, ich liebe meine Au-
    gen, ich liebe meinen weißen, zärtlichen
    Bauch, ich liebe sie mit Bedauern und mit
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    Spott und mit großer Zärtlichkeit, weil sie
    alle so bald verwelken und verfaulen müs-
    sen. Schatten, du dunkler Freund, alter
    Zinnsoldat auf dem Grabe Andersens,
    auch dir ergeht es so, lieber Kerl! Stoß mit
    mir an, unsre lieben Glieder und Einge-
    weide sollen leben!«
    Sie stießen an, dunkel lächelte der Schatten
    aus seinen tiefen Höhlenaugen – und plötz-
    lich ging etwas durch den Saal, wie ein
    Wind, wie ein Geist. Verstummt war un-
    versehens die Musik, plötzlich, wie erlo-
    schen, weggeflossen waren die Tänzer, von
    der Nacht verschlungen, und die Hälfte der
    Lichter waren verlöscht. Klingsor blickte
    nach den schwarzen Türen. Draußen stand
    der Tod. Er sah ihn stehen. Er roch ihn.
    Wie Regentropfen in Landstraßenlaub, so
    roch der Tod.
    Da rückte Li die Schale von sich weg, stieß
    den Stuhl von sich und ging langsam aus
    dem Saal, in den dunklen Garten hinaus
    und fort, im Finstern, Wetterleuchten
    überm Haupt, allein. Schwer lag ihm das
    Herz in der Brust, wie der Stein auf einem
    Grab.
    Abend im August
    Im sinkenden Abend kam Klingsor – er
    hatte den Nachmittag in Sonne und
    Wind bei Manuzzo und Veglia gemalt –
    sehr müde im Wald über Veglia zu einem
    kleinen, schlafenden Canvetto. Es gelang
    ihm, eine greise Wirtsfrau herbeizurufen,
    sie brachte ihm eine irdene Tasse voll
    Wein, er setzte sich auf einen Nußbaum-
    stumpf vor der Tür und packte den Ruck-
    sack aus, fand noch ein Stück Käse und
    einige Pflaumen darin, und hielt sein
    Nachtmahl. Die alte Frau saß dabei, weiß,
    gebückt und zahnlos, und erzählte mit fal-
    tig arbeitendem Halse und stillgewordenen
    alten Augen vom Leben ihres Weilers und
    ihrer Familie, vom Krieg und der Teu-
    erung und vom Stand der Felder, von
    Wein und Milch und was sie kosten, von
    gestorbenen Enkeln und ausgewanderten
    Söhnen; alle Lebenszeiten und Sternbilder
    dieses kleinen Bauernlebens lagen klar und
    freundlich ausgebreitet, rauh in dürftiger
    Schönheit, voll Freude und Sorge, voll
    Angst und Leben. Klingsor aß, trank,
    ruhte, hörte zu, fragte nach Kindern und
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    Vieh, Pfarrer und Bischof, lobte freundlich
    den ärmlichen Wein, bot eine letzte
    Pflaume an, gab die Hand, wünschte eine
    glückliche Nacht und stieg, am Stock und
    mit dem Sack beschwert, langsam in den
    lichten Wald bergaufwärts, dem Nachtla-
    ger entgegen.
    Es war die spätgoldene Stunde, noch
    glühte Licht des Tages überall, doch ge-
    wann der Mond schon Schimmer, und er-
    ste Fledermäuse schwammen in der grünen
    Flimmerluft. Ein Waldrand stand sanft im
    letzten Licht, helle Kastanienstämme vor
    schwarzen Schatten, eine gelbe Hütte
    strahlte leise das eingesogene Tageslicht
    von sich, sanftglühend wie ein gelber To-
    pas, rosenrot und violett führten die klei-
    nen Wege durch Wiesen, Reben
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