Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen
Autoren: Dieter Moitzi
Vom Netzwerk:
Nein, er bemerkte einfach: »Dir ist anscheinend heiß.«
    Und ich antwortete nebenbei: »Nein, ich mache bloß Turnübungen!«
    Gott sei Dank war er schon so angesäuselt, dass es ihm nichts ausmachte. Und wir landeten schlie ß lich in seinem Bett. Das ich um vier in der Früh verließ, um die erste Straßenbahn zu erwischen.

Koyaanisquatsi
     
    Ich saß auf dem Wohnzimmersofa. Die Platte war aufgelegt. Ich ließ mich fallen, als die Musik feierlich begann, der Mann mit der tiefen Stimme »Koyaanisquatsi …« brummte.
    Irgendwann stand ich auf und stellte mich ans Fenster, blickte hinaus. Ein Gewitter rollte das Tal herab. Tiefschwarze Wolken türmten sich über den Bergen auf, manche kamen die steilen Hänge herunter geglitscht wie Schlangen, hüllten die Bäume ein.
    Die Musik rauschte durch meine Adern, die Wolken rauschten durch den Himmel, kamen näher, zingelten mich ein, mich und mein Universum aus Tönen, Noten, Gedanken, Gefühlen. Ich konnte die Spannung kaum aushalten.
    Ein Blitz durchstieß die Dunkelheit, erleuchtete das Tal, die Häuser, die Fichten und Tannen, Wiesen und Felder. Keine Menschenseele war draußen. Ich war alleine mit der Natur, dem Gewitter und der Musik. Die Bäume bogen sich unter den Windstößen. Ein tiefes Brummen ließ das Gebäude erzittern, ließ die Erde beben.
    Dann plötzliche Stille. Die Bäume hielten inne. Die Wiesen, die Felder hielten inne. Das Universum war wie eingefroren von der drohenden Gewalt, dieser ungezähmten und heftigen, unverständlichen und heiligen Energie.
    Die Musik umschloss meinen eigenen, privaten Kokon.
    Die grau-schwarz-blauen Wolken bauschten sich auf.
    Da – ein Blitz, gezackt und bedrohlich. Noch einer. Der Donner grollte und rollte im Echo durchs Tal, rollte die Hänge hinauf. Ein Tropfen, dann noch einer, drei, vier, zehn, hundert, tausend, Millionen Regentropfen. Die plötzlich aus dem verhüllten Himmel hervorbrachen.
    Ich zitterte. Ich hatte etwas verstanden. Was auch immer es war.

Unglücklich glücklich
     
    Etienne rief am nächsten Tag doch an. Ich war benommen und schwach und hatte einen Mordskater. Mein Frühstück bestand aus schwarzem Kaffee, einer Zigarette, Aspirin, dem Kopf in den Händen und Reue, die viel zu spät kam. Ich jammerte: »Warum, ach warum? Hab? Ich’s? Getan?«
    Und da rief Claire: »Telefon für dich.« Ich trug das Gerät in mein Zimmer, setzte mich auf die Matratze, wickelte die Decke um meine Schultern. Ich musste schlucken. Mein Herz raste.
    Er war’s. Wollte wissen, ob ich überlebt hatte. Wollte wissen, ob ich Medikamente für meine Verkühlung brauche. Wollte wissen, ob ich sonst was brauche. Er war sehr lieb und rücksichtsvoll. Teilte mir endlich mit, dass Vanessa uns beide zum Mittagessen einlud.
    Ich duschte mich, zog mich umsichtig an. Bei ersten Dates fällt die Entscheidung, was man anziehen soll, nie leicht. Man hat ja schließlich nur Eindrücke zu bieten. Der Rest braucht etwas länger.
    Ich traf in Vanessas Wohnung ein und fühlte mich bereits viel besser. War’s das Aspirin? Der Kaffee? War’s mein heftig schlagendes Herz? Die Erwartung eines Neuanfangs vielleicht?
    Das Mittagessen war lecker. Vanessa begrüßte mich herzlich und tat alles, damit ich mich wohl fühlte. Sie war eine intelligente, geistreiche junge Frau und eine fabelhafte Köchin obendrein. Etienne war charmant, witzig und zum Flirten aufgelegt. Es wurde ein Nachmittag zum Verlieben.
    Etienne wohnte nur zehn Gehminuten von Vanessas Wohnung entfernt. Ich ging mit ihm mit nach Hause. Auf einen Kaffee, hatten wir vereinbart. Der Tag trug einen grauen und traurigen Mantel, um sich aufzuwärmen, und der Wind heulte durch die Straßen.
    Etienne besaß eine minimalistisch eingerichtete Wohnung, ganz nach seinem Geschmack. Das Wohnzimmer war groß und leer, es stand nur ein Tisch mit sechs ungleichen Sesseln drin, ein Sofa, eine diskrete Stereoanlage; ein riesiger Kilim bedeckte den Boden. Etienne legte Arvo Pärts »Miserere« auf. Wir ließen uns auf dem Kilim nieder. Die Dämmerung kam durch die großen Fenster hereingeschlichen; die einzigen Lichter waren die blinkenden Knöpfe der Stereoanlage und unsere funkelnden Augen. Wir sprachen halblaut, hörten die meiste Zeit der Musik zu, dem Stimmengemisch. Als es immer dunkler wurde, zündete Etienne eine Kerze an und stellte sie auf den Tisch. Ihr bescheidenes Licht warf eine unnatürliche Atmosphäre auf uns, hob uns aus der Wirklichkeit heraus und ließ uns in unser eigenes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher