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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen
Autoren: Dieter Moitzi
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»Angels«. Außernatürlich, himmlisch, aus dem Nichts kommend überzog sie die Bäume und Häuser und den Staub und Sand und den Himmel mit einer Stimme, einem Lied, den Worten »You are my angel …« und dem Mantra »I love you love you love you love you …«
    Danach gingen wir schwimmen. Der Strand war zu Fuß ein Viertelstunde weit weg. Eine malerische Bucht, türkises Wasser, schwarze Felsen, ganz oben die Ruinen einer Kreuzritterburg.
    Wenig später entdeckte unsere Freundin, dass sie schwanger war. Sie kam nach Frankreich zurück und ließ abtreiben.

Rauchen
     
    Ich war vierzehn und deklarierter Nichtraucher. Nur zwei Mädels aus meiner Klasse rauchten damals schon: meine Kusine und ihre beste Freundin. In den Pausen gingen sie oft auf eine Zigarette. Ich sagte ihnen immer, wie dumm und lächerlich sie seien.
    Da gab’s dieses andere Mädel, Anna. Sie war heimlich in mich verliebt, glaube ich. Sie strich mir gerne über den Arm und trällerte: »Deine Haut ist so weich!« Eines Tages meinte sie: »Ich weiß, dass du rauchst! Du brauchst es gar nicht erst abstreiten – ich weiß es einfach!«
    Ich wollte ihr einen Streich spielen. Also borgte ich mir von meiner Kusine eine Zigarette aus. Nach der Lateinstunde trafen drei Freunde und ich uns unter dem Klassenfenster. Regen strömte herab, ein scharfer Wind beutelte die Bäume. Einer von uns hielt den Regenschirm. Wir rauchten die Zigarette und schauten immer wieder nach oben, um zu überprüfen, ob Anna uns wohl auch beobachtete. Ich nahm zum ersten Mal einen Brustzug. Mein Kopf drehte sich.
    Tatsächlich hatte Anna alles gesehen. Sie war so enttäuscht, dass sie mir nie wieder über den Arm strich. Vielleicht war das ja mein Ziel gewesen?
    Drei Tage später hatte ich einen Termin beim Zahnarzt. Nachher kaufte ich meine erste Packung Zigaretten. Es war ein sonniger Tag Ende Mai, der Himmel wirkte durchsichtig, die Berge blinzelten in die Sonne. Ich erinnere mich, wie ich die Straße zwischen den Maisfeldern hinunterspazierte. Schließlich setzte ich mich auf den Asphalt, rauchte zwei Zigaretten und fühlte mich feierlich und erwachsen.
    Während ich die dritte Zigarette rauchte, wurde mir übel.
    Nur meine Schwester war da, als ich es nach Hause schaffte. Ich fiel auf mein Bett und war bereit zu sterben. Mir war kotzübel.
    Aber mir blieben siebzehn Zigaretten übrig. Ich begann zu rauchen. Ich war vierzehn Jahre alt.

Eine Hochzeit
     
    Meine Großmutter heiratete 1925, im Jänner. »Das muss wohl der eisigste Winter seit Kriegsende sein«, sagten die Leute. »Man heiratet doch im Winter nicht«, sagten die Leute.
    Mein Großvater war ein armer Bergarbeiter, ein gutgelaunter und toleranter Kommunist mit großem Durst. Ihm war egal, was die Leute sagten.
    Meine Großmutter war mit sechzehn als Bedienstete zu einem Landwirt gekommen. Sie lebte auf seinem Bauernhof, ungefähr drei Kilometer vom Dorfhauptplatz entfernt, wo die Dorfkirche stand.
    Jänner 1925. Das Dorf und die gesamte Umgebung versteckten sich unter einer dicken, harschen Schneekruste. Am Tag der Hochzeit bedeckten fette, graue Wolken den Himmel. Zu Mittag brach ein Schneesturm los und ließ die letzten, unscharfen Silhouetten hinter einem Vorhang aus Schneegestöber verschwinden. Ein letzter, wackerer Rabe hüpfte über den Hof und suchte Unterschlupf. Der Wind heulte, das Holz im Ofen knackste.
    Meine Großmutter nahm ein bescheidenes Mittagessen mit der Bauernfamilie ein. Ein Stück trockenes Brot. Eine Tasse Kaffeeersatz, weil’s ein besonderer Tag war. Sie putzte die Küche. Dann nahm sie ihr bestes Kleid aus dem Schrank. Sie zog ihre neuen Schuhe an. Sie hatte ein nettes Sümmchen zusammengespart, um sich die Schuhe kaufen zu können. Sie wickelte einen Schal um ihre dürren Schultern. Ein Kopftuch übers Haar. Sie zog ihren schäbigen, grünen Wintermantel an. Sie hatte keine Handschuhe, also schob sie ihre Hände tief in die Manteltaschen.
    Mein Großvater kam sie nicht abholen. Er hatte es nicht vorgeschlagen, hätte nicht einmal im Traum daran gedacht. Meine Großmutter ging die drei Kilometer ins Dorf zu Fuß. Ganz allein, in ihren neuen Schuhen, die für den Winter viel zu dünn waren. Sie sah den Pfad zur Hauptstraße kaum. Sie sah die Hauptstraße selbst kaum. Sie marschierte los und stapfte heldenhaft und stoisch durch den Schneesturm. Nach wenigen Minuten spürte sie ihre Finger nicht mehr. Sie spürte ihre Füße nicht mehr.
    Der Hochzeit wohnten nur sehr wenige Leute
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