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Kleine Portionen

Kleine Portionen

Titel: Kleine Portionen
Autoren: Dieter Moitzi
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Schmerz und Beschwingtheit sind Zwillinge. Ist das so, wenn man heranwächst? Ist das so, wenn man erwachsen wird?
    In der Schule hat er dieses Mädchen gesehen. Ein niedliches Mädchen mit einem hübschen Gesicht, einem hübschen Lächeln, zwei Jahre jünger als er, immer in schwarz gekleidet. Er hat sie tagelang beobachtet. Wie das Mädchen mit ihren Freunden plaudert. Wie das Mädchen die Aula durchquert. Wie das Mädchen einen Lehrer anlächelt. Er wär so gern mit dem Mädchen zusammen, so wahnsinnig gern, und eine ganze namenlose, verzweifelnd unmögliche Welt steckt in diesen Worten: so gern.
    In der Schule hat er auch diesen Jungen gesehen. Einen blonden Jungen, ein Jahr älter als er, gut aussehend, der süße Junge von nebenan. Er hat ihn ebenfalls tagelang beobachtet. Natürlich hat er es nicht gewagt, von ihm zu sprechen, mit ihm zu sprechen. Er hat ihn bloß angestarrt, wie er sich bewegt, lacht, lächelt, Fußball spielt. Und genau da fängt die Verwirrung an. Das Mädchen ist eine Sache, eine natürliche Sehnsucht, für die man ihn programmiert hat. Der blonde Junge hingegen ist etwas Anderes. Niemand warnt einen vor blonden Jungs, wenn man selber ein Junge ist.
    »Remembering you, standing quiet in the rain …«, singt der Junge. »If only I thought of the right words, I wouldn’t be breaking apart«, singt er. »Wenn mir doch bloß die passenden Worte einfielen, würde ich jetzt nicht auseinanderfallen …« Er kann sich nicht helfen, muss fortwährend an diesen blonden Jungen denken.

Wie man Leute kennenlernt
     
    Wir kamen um zehn Uhr Ortszeit auf dem Flughafen Araxos an. Der ehemalige Militärflughafen war bloß eine holprige Landebahn, so schwarz, dass sie wie verbrannter Sirup aussah, mit einem kleinen, niedrigen Gebäude aus weißem Beton und einem Parkplatz dahinter. Der Flughafen verlor sich inmitten der silbrigen Olivenbäume und der Melonenfelder und der ausgedörrten, gelben Wiesen. Der Himmel: ein tiefes, endloses Blau mit einer klar geschnittenen, weiß lodernden Sonne. Ein Schwall heißer, staubiger Luft begrüßte uns, als wir aus dem Flugzeug stiegen. Das heftige Tageslicht prallte vom weißen Beton des Empfangsgebäudes ab.
    Alle setzten sich sofort Sonnenbrillen auf und drängten sich zur Gepäckausgabe und wünschten sich eine Klimaanlage herbei. Das Warten im überfüllten Raum wurde zu einer stickigen Angelegenheit, die Minuten zogen sich hin, mit all diesen fiebrig erregten Touristen, die über den griechischen Organisationssinn schimpften und sich dann um die ersten Koffer rangelten. Die Zollbeamten waren gelangweilt und schwitzten und hätten eine gute Rasur dringend nötig gehabt; sie beäugten uns mit offener Verachtung. Wir blieben ganz hinten stehen, uns war heiß, wir waren durstig und müde.
    Als wir endlich unsere Siebensachen eingesammelt hatten, verlie ß en wir das Flughafengebäude und fanden unter einem alten, knorrigen Baum Zuflucht. Der Angestellte von der Mietwagenagentur sollte eigentlich schon da sein. War er aber nicht. Die Busse, die unsere Mitreisenden abholten, fuhren einer nach dem anderen weg.
    Zu siebt blieben wir in der plötzlichen Stille zurück. Nur die Zikaden zischten um uns herum wie ein Hitzeorchester. Die zwei anderen Jungs, ungefähr in unserem Alter und Franzosen, hatten in derselben Mietwagenagentur ein Auto gemietet wie wir. Dann war da noch eine Frau in den Vierzigern, sie war die Cousine eines der Jungs, und ihr Mann.
    Zu guter Letzt rief die Frau in der Mietwagenagentur an. Nein, sagte man ihr, von unseren Buchungen gebe es keine Spur. Wir hätten faxen sollen, sagte man ihr. Dann wäre alles schneller gegangen. Aber wir hätten Glück. Zwei Autos seien da. Sie würden sie sofort vorbeibringen.
    Das ist die griechische Übersetzung für »in eineinhalb Stunden«.
    Die Frau schlug vor, wir sollten unser Gepäck auf die Ladefläche des Lieferwagens werfen, mit dem sie gekommen war. Dann fuhr sie mit uns zu einem Strand in der Nähe. Braungebrannte Leute in Badezeug lagen auf bunten Badetüchern, spielten mit aufblasbaren Bällen, plantschten in den türkisen Wellen herum. Wir setzten uns ins Strandcafé und bestellten gezuckerte, eiskalte Frappés. Sorglose Konversation plätscherte vor sich hin, während der Sand zwischen unseren Zehen knirschte.
    Als wir zum Flughafen zurückkamen, waren unsere Autos da.
    Wir sahen die vier während unseres Urlaubs wieder. Wir luden sie zum Mittagessen ein, gingen gemeinsam an den Strand, hatten einen
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