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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Autoren: Michael Klonovsky
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Armstrong ja 2005 seine triumphale Karriere mit freundlicher Beihilfe Ullrichs bestürzend unbesiegt beendet hat, während der Deutsche sein Phlegma auf Übermenschenniveau noch ein paar Jährchen zur Schau stellen will. Da Armstrong aber der König war und ist und lange bleiben wird, soll ihm Genüge getan sein, und ich schreibe über die beiden in der Vergangenheitsform. Was wäre schließlich auch ein Ullrich-Toursieg ohne Armstrong wert? Geisterhaft steht der Ami fürs Erste weiter oben auf dem Treppchen. 2006 werden nur zweite Plätze vergeben.
    Bis zur Tour 2004 hatte ich übrigens geglaubt, dass letztlich doch Ullrich der Stärkere sei, wogegen alles und speziell die erwähnten Armstrong’schen Antritte sprachen. Seither bin ich bloß noch der Ansicht, dass Ullrich der theoretisch Stärkere ist. Niemand bezweifelt, dass der Texaner im Laufe der vergangenen Jahre alles aus sich herausgeholt hat – aber Ullrich? Der hat doch selber zugegeben, dass er nie am Limit gewesen sei (aufs Jahr gerechnet, nicht auf einzelne Etappen). Ullrichs Nimbus ist letztlich der Nachhall seines 1997er Toursiegs; er gewann damals die Frankreich-Rundfahrt dermaßen souverän wie nicht einmal Armstrong jemals, weil nämlich vollkommen unintendiert, sozusagen von sich selbst überrascht; dieser 2 3-jährige Stoiker siegte mit über neun Minuten Vorsprung und, von seinem leichten Schwächeln in den Vogesen abgesehen, einer derartigen Unerregtheit, dass sich der Zuschauer fragte, ob er während dieser Tour überhaupt irgendwann seinen Maximalpuls erreicht habe. Ich erinnere insbesondere an die neunte Etappe, als er Virenque und Pantani ohne jede erkennbare Mühe, aber mit offensichtlich schlechtem Gewissen folgte und sich dauernd nach seinem Kapitän Bjarne Rijs umsah, wo derwohl bleibe. Dieses Nolens-volens-Mitfahren, aber Eigentlich-auf-Bjarne-Warten, das war so ziemlich das Souveränste auf dem Rad, was ich je gesehen habe. Als Virenque und Pantani im Ziel spurteten, ging er nicht mal aus dem Sattel und verlor trotzdem keinen Meter. Jeder hat gesehen, dass er die beiden in Grund und Boden hätte fahren können, wenn er nur gewollt hätte. Ein »Hätte« gab es bei Armstrong übrigens nie. Die darauf folgende Etappe nach Arcalis-Andorra wollte Ullrich vermutlich gar nicht gewinnen, sondern es ist ihm – frei nach Karl Kraus –
bloß gelungen
. Er hat ja nicht wirklich attackiert; es kam halt keiner mehr hinterher, als er in den Berg hineinfuhr. Überhaupt scheint Gewinnen nicht so sehr Ullrichs Sache zu sein, dafür ist er zu nett, zu unfanatisch, zu phlegmatisch; er weiß, dass er nur sitzen und treten muss, damit sich im Laufe einer Rundfahrt schlussendlich alles schon irgendwie zu seinen Gunsten regelt. Wäre Armstrong nicht aufgetaucht, hätte er die Tour de France womöglich ebenso oft gewonnen wie der Ami. Und zwar, das wäre ein Novum in ihrer Geschichte gewesen, als jemand, der meinte, sich ihr nicht mit Haut und Haaren verschreiben zu müssen. Letztlich hat Lance Armstrong nichts weiter getan, als die Ehre des härtesten Radrennens der Welt gegen die Hybris eines Riesentalents zu retten.
    Damit wäre der wichtigste Unterschied zwischen den beiden Athleten benannt: Armstrong kam jedes Jahr optimal vorbereitet nach Frankreich, mit einem leichten Hänger 2003, bei Ullrich stimmte seit 1997 immer irgendetwas nicht. 1998 hatte er Übergewicht und einen Hungerast auf der Etappe nach Les Deux Alpes, der ihn acht Minuten auf Pantani und damit den Toursieg kostete, 1999 Übergewicht und eine Knieverletzung (im Herbst gewann er die Vuelta). 2000 fiel seine übliche Frühjahrserkältung noch heftiger aus undgesellte sich zum üblichen Übergewicht; dass er mit einer vier- oder fünfwöchigen Vorbereitung überhaupt antrat, war erstaunlich, dass er Zweiter wurde, ein Wunder. Über 2001 wird – naturgemäß auch von Armstrong – das Märchen verbreitet, Ullrich sei optimal austrainiert zur Tour de France angetreten, aber ich erinnere an das Rennen »Rund um Köln« vom April jenes Jahres, wo sich mindestens zehn Kilo zu viel »Ulle« rotgesichtig und schnaufend an einer neuerlich staunenden Öffentlichkeit vorbeimoppelten. 2002 war er wegen Drogenmissbrauchs gesperrt, 2003 hatte er eine viel zu kurze Vorbereitung, gemessen an der langen Pause, wobei er einige Axiome der Trainingswissenschaft ad absurdum führte, denn er fuhr trotzdem so leicht und locker wie seit 1997 nicht mehr, und er hätte die Tour wahrscheinlich gewonnen, wenn er
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