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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Autoren: Michael Klonovsky
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Ästhetizismus bliebe! Aber bei eminent vielen Sportkonsumenten (und leider in gewissen Graden auch bei mir) findet eine Übersprungshandlung statt, eine Projektion samt Identifikation, kurz: Sie werden Fans. Sie frohlocken über die Erfolge und ärgern sich beziehungsweise trauern über die Niederlagen vollkommen fremder Menschen, die, wenn man schon mal einen davon kennen lernt, oft nichts als das schiere Grausen wecken. Klar, es sind halt Sportler, hoch spezialisierte Körper, rund um die Uhr und ums Jahr und ums Dasein mit nix anderem als der Optimierung derselben beschäftigt (Ullrich mal ausgenommen), völlig vereinseitigte Geschöpfe, weit entfernt vom klassischen Ideal des allseits gebildeten Menschen,im Grunde Überbefähigungskrüppel, Hochleistungsmonster. Aber das Monströse fasziniert den Menschen nun einmal.
    Als Radsportanhänger ist man zumindest in diesem Belang auf der sicheren Seite: Monströseres als eine Bergankunft der Profis hat die Sportwelt nicht zu bieten. Vom Fußballgucken habe ich mich komplikationslos entwöhnt, aber eine Bergankunft der Tour de France zu verpassen, bereitet mir Entzugserscheinungen. Kein Fußball-Champions-League-Finale hat jemals einen vergleichbaren Effekt bei mir ausgelöst wie beispielsweise Ullrichs Attacke 1998 am Col de Madeleine, der einzig Marco Pantani folgen konnte. (Hier Fußball ins Spiel zu bringen, ist ohnehin Quatsch, weil die Balltreterei damit verglichen kein Sport ist.) Ich bin nicht so närrisch, dass ich selber hinfahre und mich brüllend an die Strecke stelle, der Fernseher muss reichen, wenngleich ich weiß, wie wenig er gerade für diesen Zweck taugt, wie sehr er verfremdet, verniedlicht geradezu; ein Blick von Angelina Jolie etwa kommt via Mattscheibe allenfalls zu ungefähr 53,4 Prozent rüber, ein Antritt von Lance Armstrong höchstens zu 45 Prozent. Vielleicht werde ich’s ja mal schwer bereuen, den Ami nie live gesehen zu haben. Beziehungsweise die beiden Amis.
    So weit, so gut – drei oder vier Bergankünfte jährlich im Fernsehen, das krempelt niemandes Leben um, auch wenn eine davon regelmäßig am Geburtstag meines Sohnes stattfindet, der immerhin zunehmend bereit ist, ein paar Minuten des benedeiten Tages für dieses merkwürdige Spektakel abzuknapsen. Aber ich deutete an, dass ein darüber hinausgehender, quasi-identifikatorischer Trieb, ein Fanatismus en miniature mich beutelt(e). Er hatte seinen Höhepunkt übrigens 2001 erreicht und klingt seither gottlob ab. Sein Gegenstand? Sie wissen’s ja längst. Natürlich nicht Angelina, sondern Jan.
    Armstrongs Antritte nach Lourdes-Hautacam und auf demMont Ventoux anno 2000 oder ein Jahr darauf am Fuße von L’Alpe d’Huez, um nur die spektakulärsten zu nennen, empfand ich, offenbar ganz im Gegensatz zu Ullrich selber, als persönliche Kränkungen; einer musste es ja auf sich nehmen (Luz Ardiden anno 2003 war übrigens nicht so schlimm, weil Armstrong endlich einmal sichtbar litt und auch die Etappen vorher nahezu mitleiderregend gelitten hatte). 2001 litt also ich, bis zur Schlafstörung, Armstrong stampfte durch meine Träume, und wenn ich morgens aufwachte, war mein erster Gedanke: Er hat ihn wieder abgehängt.
    Rechne ich die Aufmerksamkeit zusammen, die ich diesen beiden Zweirad-Heroen gewidmet habe, kommen damit verglichen nicht nur Achill und Hektor, sondern auch einige Dichter, Philosophen und sogar Frauen schlecht weg. Ullrich und Armstrong haben mehr Platz in meinem Kopf, als mir lieb ist (was auch zu tun hat mit jenem
Es denkt
von Seite 43). Einerseits wäre ich sie gern los, andererseits habe ich darauf hingewiesen, welche enorme Rolle die Rennen der Profis innerhalb der freizeitaktiven Radszene spielen. Sie bezieht einen Großteil ihrer Energie daraus. Die Profis zeigen,
was möglich ist
.
    Und was die erwähnten Herren betrifft – vom wohl intelligenteren, wenngleich nicht eben sympathischeren der beiden habe ich sogar reuelos zwei Bücher gelesen, und ich lese sonst nie Sportbücher –, so waren sie nun mal nicht nur die überragenden Radrennfahrer des vergangenen Jahrzehnts, sondern der eine vermutlich der Beste aller (bisherigen) Zeiten, der andere vielleicht das größte Talent, das (bisher) jemals in den Sattel gestiegen ist. Zugleich sind respektive waren sie vom Naturell dermaßen verschieden, dass die Favorisierung des einen oder anderen geradezu bekennerischen Charakter aufweist.
    Es ist übrigens schwierig, hier eine angemessene Zeitform zu wählen, da
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