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Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren

Titel: Kleine Philosophie der Passionen - Radfahren
Autoren: Michael Klonovsky
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die Pedale. Genauer anschauen wollte ich mir das zügig dahinzuckelnde Frauenzimmer auf jeden Fall.
    Sie trug ein Ganzkörpertrikot, ein, wie man sagt,
knallenges
, auch von
zweiter Haut
ist in solchen Fällen gern die Rede, und unter ihrem Helm wuchs ein blonder Zopf hervor. Ihre Haltung war vorbildlich, radsporttechnisch wie überhaupt. Frauen in roten Kleidern tauchen dauernd in eher mittelklassigen Filmen und Romanen auf, dachte ich, warum eigentlich niemals Frauen in roten Trikots? Ferner überlegte ich, meine dürftigen Möglichkeiten einer Gesprächseröffnung erwägend, um was für eine Landsmännin es sich handeln mochte. Die Wahrscheinlichkeit sprach natürlich für eine Französin, und mein Französisch ist in jederlei Hinsicht verbesserungsbedürftig. Es könnte aber auch eine blondierte Spanierin sein, eine Baskin beispielsweise, aber daran wollte ich irgendwie nicht glauben. Eine Italienerin? Nie im Leben verirrte sich eine Italienerin in die Pyrenäen. Vielleicht eine Skandinavierin? Oder gar eine Deutsche? Nun, ich würde ihrem Herkunftsgeheimnis schon auf die Spur kommen.
    Wir hatten den Beginn des Anstiegs erreicht, er würde uns, wie ein Schild verriet, 9,8 Kilometer mit durchschnittlich 6,6 Prozent Steigung auf 1569 Meter hinaufführen. Couragiert kurbelte die attraktive Unbekannte den Peyresourde hinan. Sie war immer noch erstaunlich schnell unterwegs, ich rechnete allerdings fest damit, dass sie ihr Tempo bergauf irgendwann ins Damenhafte werde modifizieren müssen. Noch vor der 1000 habe ich dich, Schätzchen, dachte ich.
    An einer gegenläufigen Serpentine konnte ich sie dann von vorn sehen, reichlich zehn Meter über mir, bei welcher Gelegenheit sie spätestens auch mich wahrnahm. Sie war sehr schlank, von sozusagen leopardinnenhafter Statur, nichtmuskulös, eher drahtig, aber unter ihrem Trikot zeichneten sich dennoch zwei überraschend und erfreulich definiert und also mehr als nur vorhandene Brüste ab (üppig wäre zu viel gesagt). Doch wie sehr ich auch versuchte, sie einzuholen, es gelang mir nicht, stets hielt sie mich auf einer Distanz um die 30 Meter, ich mochte beschleunigen, wie ich wollte. So fuhren wir auch noch die letzten, wunderbar sanft durchs Grün der Bergflanken sich ringelnden Serpentinen bis zur Passhöhe, ohne dass ich näher an sie herankam als die besagten ungefähr 30 Meter, was mich allmählich wütend machte, aber zugleich in schwerste Selbstzweifel stürzte, denn ich fuhr fast an der Oberkante, also meiner Leistungsgrenze, obwohl ich mich im Klaren darüber befand, wie dumm es war, sich im Gebirge vor der Zeit zu verausgaben.
    Auf der Abfahrt hätte ich sie beinahe aus den Augen verloren. Ich folgte ihr, meine geplante Strecke verwerfend und vor allem ausdehnend, von Bagnères-de-Luchon in Richtung St.-Beat, hin zum Col de Mente, wobei sie sich auf dem flachen Stück mehrfach nach mir umdrehte, als ob sie sich vergewissern wollte, dass ich ihr wirklich folgte. Eindeutig spielte sie mit mir. Das war reizend, wenngleich es offenkundig auf eine sportliche Demütigung meiner Person hinauslief und mich immer weiter weg von jener Route führte, die ich geplant hatte, sprich: auch von meinem Rückweg zum Hotel. Aber ich hatte beschlossen, sie zu fangen. Irgendwann musste sie einfach müde werden.
    Am Anstieg zum Col de Mente setzte sie ihr forsches Tempo freilich ungerührt fort. Wollte ich das rote Trikot weiter vor mir sehen, musste ich nun wirklich an meine Grenzen gehen. Erstmals begriff ich, was es bedeutet, sein Limit nicht nur zu erreichen, sondern an ihm bleibend Minute um Minute weiterzufahren ... Qualen, Qualen, Qualen ... Wäre vor mir irgendein Kerl gefahren, hätte ich doch einfach aufgehört. Und dieser Drahtelfe vor mir schienen Steigung und Tempo kaum etwas auszumachen.
    Du gibst dich der Lächerlichkeit preis, dachte ich, als ich an einer Kurve sah, wie sie unter der Achsel hindurch nach mir schaute. In deiner momentanen Verfassung, dachte ich, könntest du sie nicht mal ansprechen, du japst nach Luft wie ein auf den Strand geworfener Fisch. Ein Mann, der eine Frau anspricht, sollte souverän wirken und nicht, als sei er gerade am Ertrinken. Brich dieses unwürdige Theater ab!
    Ich kapitulierte und drosselte das Tempo.
    Madame freilich tat dasselbe: Sie wurde ebenfalls langsamer. Der Abstand zwischen uns blieb unverändert.
    Auch das noch, dachte ich. Oder war sie, sprach da eine jäh aufflammende Hoffnung zu mir, vielleicht am Ende? Pfiff die Holde
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