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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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konnten, ohne zu spielen, wahrschein-
    lich aus angeborenem Tätigkeitstriebe. Strapinski, welcher
    die Teilnahme aus verschiedenen Gründen ablehnen mußte,
    wurde eingeladen zuzusehen, denn das schien ihnen immer-
    hin der Mühe wert, da sie soviel Klugheit und Geistesgegen-
    wart bei den Karten zu entwickeln pflegten. Er mußte sich
    zwischen beide Partien setzen, und sie legten es nun darauf
    an, geistreich und gewandt zu spielen und den Gast zu glei-
    cher Zeit zu unterhalten. So saß er denn wie ein kränkelnder
    Fürst, vor welchem die Hofleute ein angenehmes Schauspiel
    aufführen und den Lauf der Welt darstellen. Sie erklärten ihm
    die bedeutendsten Wendungen, Handstreiche und Ereignisse,
    und wenn die eine Partei für einen Augenblick ihre Aufmerk-
    samkeit ausschließlich dem Spiele zuwenden mußte, so führte
    die andere dafür um so angelegentlicher die Unterhaltung
    mit dem Schneider. Der beste Gegenstand dünkte sie hiefür
    Pferde, Jagd und dergleichen; Strapinski wußte hier auch am
    besten Bescheid; denn er brauchte nur die Redensarten her-
    vorzuholen, welche er einst in der Nähe von Offizieren und
    Gutsherren gehört und die ihm schon dazumal ausnehmend
    wohl gefallen hatten. Wenn er diese Redensarten auch nur
    sparsam, mit einer gewissen Bescheidenheit und stets mit ei-
    nem schwermütigen Lächeln vorbrachte, so erreichte er damit
    nur eine größere Wirkung; wenn zwei oder drei von den Her-
    ren aufstanden und etwa zur Seite traten, so sagten sie: „Es ist
    ein vollkommener Junker!“
    Nur Melcher Böhni, der Buchhalter, als ein geborener
    Zweifler, rieb sich vergnügt die Hände und sagte zu sich selbst:
    Ich sehe es kommen, daß es wieder einen Goldacher Putsch
    gibt, ja, er ist gewissermaßen schon da! Es war aber auch Zeit,
    denn schon sind’s zwei Jahre seit dem letzten! Der Mann dort
    hat mir so wunderlich zerstochene Finger, vielleicht von Praga
    oder Ostrolenka her! Nun, ich, werde mich hüten, den Verlauf
    zu stören!
    Die beiden Partien waren nun zu Ende, auch das Sauser-
    gelüste der Herren gebüßt, und sie zogen nun vor, sich an
    den alten Weinen des Amtsrates ein wenig abzukühlen, die
    jetzt gebracht wurden; doch war die Abkühlung etwas lei-
    denschaftlicher Natur, indem sofort, um nicht in schnöden
    Müßiggang zu verfallen, ein allgemeines Hasardspiel vor-
    geschlagen wurde. Man mischte die Karten, jeder warf ei-
    nen Brabantertaler hin, und als die Reihe an Strapinski war,
    konnte er nicht wohl seinen Fingerhut auf den Tisch setzen.
    „Ich habe nicht ein solches Geldstück“, sagte er errötend; aber
    schon hatte Melcher Böhni, der ihn beobachtet, für ihn einge-
    setzt, ohne daß jemand darauf achtgab; denn alle waren viel
    zu behaglich, als daß sie auf den Argwohn geraten wären, je-
    mand in der Welt könne kein Geld haben. Im nächsten Augen-
    blicke wurde dem Schneider, der gewonnen hatte, der ganze
    Einsatz zugeschoben; verwirrt ließ er das Geld liegen, und
    Böhni besorgte für ihn das zweite Spiel, welches ein anderer
    gewann, sowie das dritte. Doch das vierte und fünfte gewann
    wiederum der Polacke, der allmählich aufwachte und sich in
    die Sache fand. Indem er sich still und ruhig verhielt, spielte er
    mit abwechselndem Glücke; einmal kam er bis auf einen Taler
    herunter, den er setzen mußte, gewann wieder, und zuletzt,
    als man das Spiel satt bekam, besaß er einige Louisdors, mehr
    als er jemals in seinem Leben besessen, welche er, als er sah,
    daß jedermann sein Geld einsteckte, ebenfalls zu sich nahm,
    nicht ohne Furcht, daß alles ein Traum sei. Böhni, welcher
    ihn fortwährend scharf betrachtete, war jetzt fast im klaren
    über ihn und dachte: Den Teufel fährt der in einem vierspän-
    nigen Wagen!
    Weil er aber zugleich bemerkte, daß der rätselhafte Fremde
    keine Gier nach dem Gelde gezeigt, sich überhaupt bescheiden
    und nüchtern verhalten hatte, so war er nicht übel gegen ihn
    gesinnt, sondern beschloß, die Sache durchaus gehen zu lassen.
    Aber der Graf Strapinski, als man sich vor dem Abendessen
    im Freien erging, nahm jetzo seine Gedanken zusammen und
    hielt den rechten Zeitpunkt einer geräuschlosen Beurlaubung
    für gekommen. Er hatte ein artiges Reisegeld und nahm sich
    vor, dem Wirt zur Waage von der nächsten Stadt aus sein auf-
    gedrungenes Mittagsmahl zu bezahlen. Also schlug er seinen
    Radmantel malerisch um, drückte die Pelzmütze tiefer in die
    Augen und schritt unter einer Reihe von hohen Akazien in der
    Abendsonne
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