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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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in sie verliebt!
    „Bravo! Bravo!“ riefen alle Herren, mit den Händen klatschend,
    und Nettchen sagte gerührt: „Ach, das Nationale ist immer so
    schön!“ Glücklicherweise verlangte niemand die Übersetzung
    dieses Gesanges.
    Mit dem Überschreiten solchen Höhepunktes der Unter-
    haltung brach die Gesellschaft auf; der Schneider wurde wie-
    der eingepackt und sorgfältig nach Goldach zurückgebracht;
    vorher hatte er versprechen müssen, nicht ohne Abschied
    davonzureisen. Im Gasthof zur Waage wurde noch ein Glas
    Punsch genommen; jedoch Strapinski war erschöpft und
    verlangte nach dem Bette. Der Wirt selbst führte ihn auf seine
    Zimmer, deren Stattlichkeit er kaum mehr beachtete, obgleich
    er nur gewohnt war, in dürftigen Herbergskammern zu schla-
    fen. Er stand ohne alle und jede Habseligkeit mitten auf ei-
    nem schönen Teppich, als der Wirt plötzlich den Mangel an
    Gepäck entdeckte und sich vor die Stirne schlug. Dann lief er
    schnell hinaus, schellte, rief Kellner und Hausknechte herbei,
    wortwechselte mit ihnen, kam wieder und beteuerte: „Es ist
    richtig, Herr Graf, man hat vergessen, Ihr Gepäck abzuladen!
    Auch das Notwendigste fehlt!“
    „Auch das kleine Paketchen, das im Wagen lag?“ fragte
    Strapinski ängstlich, weil er an ein handgroßes Bündelein
    dachte, welches er auf dem Sitze hatte liegenlassen und das
    ein Schnupftuch, eine Haarbürste, einen Kamm, ein Büchs-
    chen Pomade und einen Stengel Bartwichse enthielt.
    „Auch dieses fehlt, es ist gar nichts da“, sagte der gute Wirt
    erschrocken, weil er darunter etwas sehr Wichtiges vermutete.
    „Man muß dem Kutscher sogleich einen Expressen nachschik-
    ken,“ rief er eifrig, „ich werde das besorgen!“
    Doch der Herr Graf fiel ihm ebenso erschrocken in den
    Arm und sagte bewegt: „Lassen Sie, es darf nicht sein! Man
    muß meine Spur verlieren für einige Zeit“, setzte er hinzu,
    selbst betreten über diese Erfindung.
    Der Wirt ging erstaunt zu den Punsch trinkenden Gästen,
    erzählte ihnen den Fall und schloß mit dem Ausspruche, daß
    der Graf unzweifelhaft ein Opfer politischer oder der Fami-
    lienverfolgung sein müsse; denn um eben diese Zeit wurden
    viele Polen und andere Flüchtlinge wegen gewaltsamer Unter-
    nehmungen des Landes verwiesen; andere wurden von frem-
    den Agenten beobachtet und umgarnt.
    Strapinski aber tat einen guten Schlaf, und als er spät er-
    wachte, sah er zunächst den prächtigen Sonntagsschlafrock
    des Waagwirtes über einen Stuhl gehängt, ferner ein Tisch-
    chen mit allem möglichen Toilettenwerkzeug bedeckt. So-
    dann harrten eine Anzahl Dienstboten, um Körbe und Koffer,
    angefüllt mit feiner Wäsche, mit Kleidern, mit Zigarren, mit
    Büchern, mit Stiefeln, mit Schuhen, mit Sporen, mit Reitpeit-
    schen, mit Pelzen, mit Mützen, mit Hüten, mit Socken, mit
    Strümpfen, mit Pfeifen, mit Flöten und Geigen, abzugeben
    von seiten der gestrigen Freunde, mit der angelegentlichen
    Bitte, sich dieser Bequemlichkeiten einstweilen bedienen zu
    wollen. Da sie die Vormittagsstunden unabänderlich in ihren
    Geschäften verbrachten, ließen sie ihre Besuche auf die Zeit
    nach Tisch ansagen.
    Diese Leute waren nichts weniger als lächerlich oder ein-
    fältig, sondern umsichtige Geschäftsmänner, mehr schlau als
    vernagelt; allein da ihre wohlbesorgte Stadt klein war und es
    ihnen manchmal langweilig darin vorkam, waren sie stets
    begierig auf eine Abwechslung, ein Ereignis, einen Vorgang,
    dem sie sich ohne Rückhalt hingaben. Der vierspännige Wa-
    gen, das Aussteigen des Fremden, sein Mittagessen, die Aus-
    sage des Kutschers waren so einfache und natürliche Dinge,
    daß die Goldacher, welche keinem müßigen Argwohn nach-
    zuhängen pflegten, ein Ereignis darauf aufbauten wie auf ei-
    nen Felsen.
    Als Strapinski das Warenlager sah, das sich vor ihm aus-
    breitete, war seine erste Bewegung, daß er in seine Tasche
    griff, um zu erfahren, ob er träume oder wache. Wenn sein
    Fingerhut dort noch in seiner Einsamkeit weilte, so träumte
    er. Aber nein, der Fingerhut wohnte traulich zwischen dem
    gewonnenen Spielgelde und scheuerte sich freundschaftlich
    an den Talern; so ergab sich auch sein Gebieter wiederum
    in das Ding und stieg von seinen Zimmern herunter auf die
    Straße, um sich die Stadt zu besehen, in welcher es ihm so
    wohl erging. Unter der Küchentüre stand die Köchin, welche
    ihm einen tiefen Knicks machte und ihm mit neuem Wohl-
    gefallen nachsah; auf dem Flur und an der Haustüre
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