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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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erhoben würden und mit
    welchem Erfolge.
    Solche Einsprachen konnten bei der Volljährigkeit Nett-
    chens einzig noch erhoben werden wegen der zweifelhaften
    Person des falschen Grafen Wenzel Strapinski.
    Allein der Rechtsanwalt, der seine und Nettchens Sache
    nun führte, ermittelte, daß den fremden jungen Mann we-
    der in seiner Heimat noch auf seinen bisherigen Fahrten auch
    nur der Schatten eines bösen Leumunds getroffen habe und
    von überallher nur gute und wohlwollende Zeugnisse für ihn
    einliefen.
    Was die Ereignisse in Goldach betraf, so wies der Advo-
    kat nach, daß Wenzel sich eigentlich gar nie selbst für einen
    Grafen ausgegeben, sondern daß ihm dieser Rang von andern
    gewaltsam verliehen worden; daß er schriftlich auf allen vor-
    handenen Belegstücken mit seinem wirklichen Namen Wenzel
    Strapinski ohne jede Zutat sich unterzeichnet hatte und somit
    kein anderes Vergehen vorlag, als daß er eine törichte Gast-
    freundschaft genossen hatte, die ihm nicht gewährt worden
    wäre, wenn er nicht in jenem Wagen angekommen wäre und
    jener Kutscher nicht jenen schlechten Spaß gemacht hätte.
    So endigte denn der Krieg mit einer Hochzeit, an welcher
    die Seldwyler mit ihren sogenannten Katzenköpfen gewaltig
    schossen zum Verdrusse der Goldacher, welche den Geschütz-
    donner ganz gut hören konnten, da der Westwind wehte. Der
    Amtsrat gab Nettchen ihr ganzes Gut heraus, und sie sagte,
    Wenzel müsse nun ein großer Marchand-Tailleur und Tuch-
    herr werden in Seldwyla; denn da hieß der Tuchhändler noch
    Tuchherr, der Eisenhändler Eisenherr usw.
    Das geschah denn auch, aber in ganz anderer Weise, als die
    Seldwyler geträumt hatten. Er war bescheiden, sparsam und
    fleißig in seinem Geschäfte, welchem er einen großen Umfang
    zu geben verstand. Er machte ihnen ihre veilchenfarbigen oder
    weiß und blau gewürfelten Sammetwesten, ihre Ballfräcke
    mit goldenen Knöpfen, ihre rot ausgeschlagenen Mäntel, und
    alles waren sie ihm schuldig, aber nie zu lange Zeit. Denn um
    neue, noch schönere Sachen zu erhalten, welche er kommen
    oder anfertigen ließ, mußten sie ihm das Frühere bezahlen, so
    daß sie untereinander klagten, er presse ihnen das Blut unter
    den Nägeln hervor.
    Dabei wurde er rund und stattlich und sah beinah gar
    nicht mehr träumerisch aus; er wurde von Jahr zu Jahr ge-
    schäftserfahrener und gewandter und wußte in Verbindung
    mit seinem bald versöhnten Schwiegervater, dem Amtsrat,
    so gute Spekulationen zu machen, daß sich sein Vermögen
    verdoppelte und er nach zehn oder zwölf Jahren mit ebenso
    vielen Kindern, die inzwischen Nettchen, die Strapinska, ge-
    boren hatte, und mit letzterer nach Goldach übersiedelte und
    daselbst ein angesehener Mann ward.
    Aber in Seldwyla ließ er nicht einen Stüber zurück, sei es
    aus Undank oder aus Rache.
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