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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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Mantel, dunklen schönen Haaren und mit
    einer polnischen Mütze; es war niemand anders als der Graf
    Strapinski, wie er an jenem Novembertage auf der Straße ge-
    wandert und den verhängnisvollen Wagen bestiegen hatte.
    Die ganze Versammlung blickte lautlos gespannt auf die
    Gestalt, welche feierlich schwermütig einige Gänge nach dem
    Takte der Musik umhertrat, dann in die Mitte des Ringes sich
    begab, den Mantel auf den Boden breitete, sich schneidermä-
    ßig darauf niedersetzte und anfing, ein Bündel auszupacken.
    Er zog einen beinahe fertigen Grafenrock hervor, ganz wie
    ihn Strapinski in diesem Augenblicke trug, nähete mit großer
    Hast und Geschicklichkeit Troddeln und Schnüre darauf und
    bügelte ihn schulgerecht aus, indem er das scheinbar heiße
    Bügeleisen mit nassen Fingern prüfte. Dann richtete er sich
    langsam auf, zog seinen fadenscheinigen Rock aus und das
    Prachtkleid an, nahm ein Spiegelchen, kämmte sich und voll-
    endete seinen Anzug, daß er endlich als das leibhafte Eben-
    bild des Grafen dastand. Unversehens ging die Musik in eine
    rasche mutige Weise über, der Mann wickelte seine Sieben-
    sachen in den alten Mantel und warf das Pack weit über die
    Köpfe der Anwesenden hinweg in die Tiefe des Saales, als
    wollte er sich ewig von seiner Vergangenheit trennen. Hierauf
    beging er als stolzer Weltmann in stattlichen Tanzschritten
    den Kreis, hie und da sich vor den Anwesenden huldreich ver-
    beugend, bis er vor das Brautpaar gelangte. Plötzlich faßte er
    den Polen, ungeheuer überrascht, fest ins Auge, stand als eine
    Säule vor ihm still, während gleichzeitig wie auf Verabredung
    die Musik aufhörte und eine fürchterliche Stille wie ein stum-
    mer Blitz einfiel.
    „Ei ei ei ei!“ rief er mit weithin vernehmlicher Stimme und
    reckte den Arm gegen den Unglücklichen aus, „sieh da den
    Bruder Schlesier, den Wasserpolacken! Der mir aus der Arbeit
    gelaufen ist, weil er wegen einer kleinen Geschäftsschwan-
    kung glaubte, es sei zu Ende mit mir. Nun, es freut mich, daß
    es Ihnen so lustig geht und Sie hier so fröhliche Fastnacht hal-
    ten! Stehen Sie in Arbeit zu Goldach?“
    Zugleich gab er dem bleich und lächelnd dasitzenden Gra-
    fensohn die Hand, welche dieser willenlos ergriff wie eine
    feurige Eisenstange, während der Doppelgänger rief: „Kommt,
    Freunde, seht hier unsern sanften Schneidergesellen, der wie
    ein Raphael aussieht und unsern Dienstmägden, auch der
    Pfarrerstochter so wohl gefiel, die freilich ein bißchen überge-
    schnappt ist!“
    Nun kamen die Seldwyler Leute alle herbei und drängten
    sich um Strapinski und seinen ehemaligen Meister, indem sie
    ersterm treuherzig die Hand schüttelten, daß er auf seinem
    Stuhle schwankte und zitterte. Gleichzeitig setzte die Musik
    wieder ein mit einem lebhaften Marsch; die Seldwyler, sowie sie
    an dem Brautpaar vorüber waren, ordneten sich zum Abzuge
    und marschierten unter Absingung eines wohleinstudierten
    diabolischen Lachchors aus dem Saale, während die Goldacher,
    unter welchen Böhni die Erklärung des Mirakels blitzschnell
    zu verbreiten gewußt hatte, durcheinanderliefen und sich mit
    den Seldwylern kreuzten, so daß es einen großen Tumult gab.
    Als dieser sich endlich legte, war auch der Saal beinahe leer;
    wenige Leute standen an den Wänden und flüsterten verlegen
    untereinander; ein paar junge Damen hielten sich in einiger
    Entfernung von Nettchen, unschlüssig, ob sie sich derselben
    nähern sollten oder nicht.
    Das Paar aber saß unbeweglich auf seinen Stühlen gleich
    einem steinernen ägyptischen Königspaar, ganz still und ein-
    sam; man glaubte den unabsehbaren glühenden Wüstensand
    zu fühlen.
    Nettchen, weiß wie ein Marmor, wendete das Gesicht
    langsam nach ihrem Bräutigam und sah ihn seltsam von der
    Seite an.
    Da stand er langsam auf und ging mit schweren Schritten
    hinweg, die Augen auf den Boden gerichtet, während große
    Tränen aus denselben fielen.
    Er ging durch die Goldacher und Seldwyler, welche die
    Treppen bedeckten, hindurch wie ein Toter, der sich gespen-
    stisch von einem Jahrmarkt stiehlt, und sie ließen ihn selt-
    samerweise auch wie einen solchen passieren, indem sie ihm
    still auswichen, ohne zu lachen oder harte Worte nachzuru-
    fen. Er ging auch zwischen den zur Abfahrt gerüsteten Schlit-
    ten und Pferden von Goldach hindurch, indessen die Seldwy-
    ler sich in ihrem Quartiere erst noch recht belustigten, und
    er wandelte halb unbewußt, nur in der Meinung, nicht
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