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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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werden, denn der Amtsrat behauptete,
    daß der künftige Schwiegersohn sich in seinen Geschäften
    und vorhabenden Reisen nicht durch Heiratssachen dürfe
    aufhalten lassen, sondern diese durch die Beförderung jener
    beschleunigen müsse.
    Strapinski brachte zur Verlobung Brautgeschenke, welche
    ihn die Hälfte seines zeitlichen Vermögens kosteten; die an-
    dere Hälfte verwandte er zu einem Feste, das er seiner Braut
    geben wollte. Es war eben Fastnachtszeit und bei hellem Him-
    mel ein verspätetes glänzendes Winterwetter. Die Landstra-
    ßen boten die prächtigste Schlittenbahn, wie sie nur selten
    entsteht und sich hält, und Herr von Strapinski veranstaltete
    darum eine Schlittenfahrt und einen Ball in dem für solche
    Feste beliebten stattlichen Gasthause, welches auf einer Hoch-
    ebene mit der schönsten Aussicht gelegen war, etwa zwei gute
    Stunden entfernt und genau in der Mitte zwischen Goldach
    und Seldwyla.
    Um diese Zeit geschah es, daß Herr Melchior Böhni in der
    letzteren Stadt Geschäfte zu besorgen hatte und daher einige
    Tage vor dem Winterfest in einem leichten Schlitten dahin
    fuhr, seine beste Zigarre rauchend; und es geschah ferner, daß
    die Seldwyler auf den gleichen Tag wie die Goldacher auch
    eine Schlittenfahrt verabredeten, nach dem gleichen Orte,
    und zwar eine kostümierte oder Maskenfahrt.
    So fuhr denn der Goldacher Schlittenzug gegen die Mit-
    tagsstunde unter Schellenklang, Posthorntönen und Peit-
    schenknall durch die Straßen der Stadt, daß die Sinnbilder der
    alten Häuser erstaunt herniedersahen, und zum Tore hinaus.
    Im ersten Schlitten saß Strapinski mit seiner Braut, in einem
    polnischen Überrock von grünem Sammet, mit Schnüren be-
    setzt und schwer mit Pelz verbrämt und gefüttert. Nettchen
    war ganz in weißes Pelzwerk gehüllt; blaue Schleier schützten
    ihr Gesicht gegen die frische Luft und gegen den Schneeglanz.
    Der Amtsrat war durch irgendein plötzliches Ereignis verhin-
    dert worden mitzufahren; doch war es sein Gespann und sein
    Schlitten, in welchem sie fuhren, ein vergoldetes Frauenbild
    als Schlittenzierat vor sich, die Fortuna vorstellend; denn die
    Stadtwohnung des Amtsrates hieß zur Fortuna.
    Ihnen folgten fünfzehn bis sechszehn Gefährte mit je
    einem Herren und einer Dame, alle geputzt und lebensfroh,
    aber keines der Paare so schön und stattlich wie das Braut-
    paar. Die Schlitten trugen, wie die Meerschiffe ihre Galions,
    immer das Sinnbild des Hauses, dem jeder angehörte, so daß
    das Volk rief: „Seht, da kommt die Tapferkeit! Wie schön ist
    die Tüchtigkeit! Die Verbesserlichkeit scheint neu lackiert zu
    sein und die Sparsamkeit frisch vergoldet! Ah, der Jakobs-
    brunnen und der Teich Bethesda!“ Im Teiche Bethesda, wel-
    cher als bescheidener Einspänner den Zug schloß, kutschierte
    Melchior Böhni still und vergnügt. Als Gallion seines Fahr-
    zeugs hatte er das Bild jenes jüdischen Männchens vor sich,
    welcher an besagtem Teiche dreißig Jahre auf sein Heil gewar-
    tet. So segelte denn das Geschwader im Sonnenscheine dahin
    und erschien bald auf der weithin schimmernden Höhe, dem
    Ziele sich nahend. Da ertönte gleichzeitig von der entgegenge-
    setzten Seite lustige Musik.
    Aus einem duftig bereiften Walde heraus brach ein Wirr-
    warr von bunten Farben und Gestalten und entwickelte sich
    zu einem Schlittenzug, welcher hoch am weißen Feldrande
    sich auf den blauen Himmel zeichnete und ebenfalls nach der
    Mitte der Gegend hinglitt, von abenteuerlichem Anblick. Es
    schienen meistens große bäuerliche Lastschlitten zu sein, je
    zwei zusammengebunden, um absonderlichen Gebilden und
    Schaustellungen zur Unterlage zu dienen. Auf dem vordersten
    Fuhrwerke ragte eine kolossale Figur empor, die Göttin For-
    tuna vorstellend, welche in den Äther hinauszufliegen schien.
    Es war eine riesenhafte Strohpuppe voll schimmernden Flit-
    tergoldes, deren Gazegewänder in der Luft flatterten. Auf dem
    zweiten Gefährte aber fuhr ein ebenso riesenmäßiger Zie-
    genbock einher, schwarz und düster abstechend und mit ge-
    senkten Hörnern der Fortuna nachjagend. Hierauf folgte ein
    seltsames Gerüste, welches sich als ein fünfzehn Schuh hohes
    Bügeleisen darstellte, dann eine gewaltig schnappende Schere,
    welche mittelst einer Schnur auf- und zugeklappt wurde und
    das Himmelszelt für einen blauseidenen Westenstoff anzu-
    sehen schien. Andere solche landläufige Anspielungen auf
    das Schneiderwesen folgten noch, und zu Füßen aller
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