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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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nicht,
    sondern ließ sich willenlos in das Haus und die Treppe hinan
    geleiten und bemerkte seine neue seltsame Lage erst recht, als
    er sich in einen wohnlichen Speisesaal versetzt sah und ihm
    sein ehrwürdiger Mantel dienstfertig abgenommen wurde.
    „Der Herr wünscht zu speisen?“ hieß es, „gleich wird ser-
    viert werden, es ist eben gekocht!“
    Ohne eine Antwort abzuwarten, lief der Waagwirt in die
    Küche und rief: „Ins drei Teufels Namen! Nun haben wir
    nichts als Rindfleisch und die Hammelskeule! Die Rebhuhn-
    pastete darf ich nicht anschneiden, da sie für die Abendherren
    bestimmt und versprochen ist. So geht es! Den einzigen Tag,
    wo wir keinen Gast erwarten und nichts da ist, muß ein sol-
    cher Herr kommen! Und der Kutscher hat ein Wappen auf den
    Knöpfen, und der Wagen ist wie der eines Herzogs! Und der
    junge Mann mag kaum den Mund öffnen vor Vornehmheit!“
    Doch die ruhige Köchin sagte: „Nun, was ist denn da zu
    lamentieren, Herr? Die Pastete tragen Sie nur kühn auf, die
    wird er doch nicht aufessen! Die Abendherren bekommen sie
    dann portionenweise, sechs Portionen wollen wir schon noch
    herauskriegen!“
    „Sechs Portionen? Ihr vergeßt wohl, daß die Herren sich satt
    zu essen gewohnt sind!“ meinte der Wirt, allein die Köchin
    fuhr unerschüttert fort: „Das sollen sie auch! Man läßt noch
    schnell ein halbes Dutzend Kotelettes holen, die brauchen wir
    sowieso für den Fremden, und was er übrigläßt, schneide ich
    in kleine Stückchen und menge sie unter die Pastete, da lassen
    Sie nur mich machen!“
    Doch der wackere Wirt sagte ernsthaft: „Köchin, ich habe
    Euch schon einmal gesagt, daß dergleichen in dieser Stadt
    und in diesem Hause nicht angeht! Wir leben hier solid und
    ehrenfest und vermögen es!“
    „Ei der Tausend, ja, ja!“ rief die Köchin endlich etwas auf-
    geregt, „wenn man sich denn nicht zu helfen weiß, so opfere
    man die Sache! Hier sind zwei Schnepfen, die ich den Augen-
    blick vom Jäger gekauft habe, die kann man am Ende der Pa-
    stete zusetzen! Eine mit Schnepfen gefälschte Rebhuhnpastete
    werden die Leckermäuler nicht beanstanden! Sodann sind
    auch die Forellen da, die größte habe ich in das siedende Was-
    ser geworfen, wie der merkwürdige Wagen kam, und da kocht
    auch schon die Brühe im Pfännchen; so haben wir also einen
    Fisch, das Rindfleisch, das Gemüse mit den Kotelettes, den
    Hammelsbraten und die Pastete; geben Sie nur den Schlüssel,
    daß man das Eingemachte und den Dessert herausnehmen
    kann! Und den Schlüssel könnten Sie, Herr! mir mit Ehren
    und Zutrauen übergeben, damit man Ihnen nicht allerorten
    nachspringen muß und oft in die größte Verlegenheit gerät!“
    „Liebe Köchin! das braucht Ihr nicht übelzunehmen, ich
    habe meiner seligen Frau am Todbette versprechen müssen,
    die Schlüssel immer in Händen zu behalten; sonach geschieht
    es grundsätzlich und nicht aus Mißtrauen. Hier sind die Gur-
    ken und hier die Kirschen, hier die Birnen und hier die Apri-
    kosen; aber das alte Konfekt darf man nicht mehr aufstellen;
    geschwind soll die Lise zum Zuckerbeck laufen und frisches
    Backwerk holen, drei Teller, und wenn er eine gute Torte hat,
    soll er sie auch gleich mitgeben!“
    „Aber, Herr! Sie können ja dem einzigen Gaste das nicht al-
    les aufrechnen, das schlägt’s beim besten Willen nicht heraus!“
    „Tut nichts, es ist um die Ehre! Das bringt mich nicht um;
    dafür soll ein großer Herr, wenn er durch unsere Stadt reist,
    sagen können, er habe ein ordentliches Essen gefunden, ob-
    gleich er ganz unerwartet und im Winter gekommen sei! Es
    soll nicht heißen wie von den Wirten zu Seldwyl, die alles
    Gute selber fressen und den Fremden die Knochen vorsetzen!
    Also frisch, munter, sputet Euch allerseits!“
    Während dieser umständlichen Zubereitungen befand
    sich der Schneider in der peinlichsten Angst, da der Tisch
    mit glänzendem Zeuge gedeckt wurde, und so heiß sich der
    ausgehungerte Mann vor kurzem noch nach einiger Nahrung
    gesehnt hatte, so ängstlich wünschte er jetzt der drohenden
    Mahlzeit zu entfliehen. Endlich faßte er sich einen Mut, nahm
    seinen Mantel um, setzte die Mütze auf und begab sich hinaus,
    um den Ausweg zu gewinnen. Da er aber in seiner Verwir-
    rung und in dem weitläufigen Hause die Treppe nicht gleich
    fand, so glaubte der Kellner, den der Teufel beständig umher-
    trieb, jener suche eine gewisse Bequemlichkeit, rief: „Erlauben
    Sie gefälligst, mein Herr, ich werde
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