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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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langsam auf und nieder, das schöne Gelände be-
    trachtend oder vielmehr den Weg erspähend, den er einschla-
    gen wollte. Er nahm sich mit seiner bewölkten Stirne, seinem
    lieblichen, aber schwermütigen Mundbärtchen, seinen glän-
    zenden schwarzen Locken, seinen dunklen Augen, im Wehen
    seines faltigen Mantels vortrefflich aus; der Abendschein und
    das Säuseln der Bäume über ihm erhöhte den Eindruck, so
    daß die Gesellschaft ihn von ferne mit Aufmerksamkeit und
    Wohlwollen betrachtete. Allmählich ging er immer etwas wei-
    ter vom Hause hinweg, schritt durch ein Gebüsch, hinter wel-
    chem ein Feldweg vorüberging, und als er sich vor den Blicken
    der Gesellschaft gedeckt sah, wollte er eben mit festem Schritt
    ins Feld rücken, als um eine Ecke herum plötzlich der Amts-
    rat mit seiner Tochter Nettchen ihm entgegentrat. Nettchen
    war ein hübsches Fräulein, äußerst prächtig, etwas stutzerhaft
    gekleidet und mit Schmuck reichlich verziert.
    „Wir suchen Sie, Herr Graf!“ rief der Amtsrat, „damit ich
    Sie erstens hier meinem Kinde vorstelle, und zweitens, um Sie
    zu bitten, daß Sie uns die Ehre erweisen möchten, einen Bis-
    sen Abendbrot mit uns zu nehmen; die anderen Herren sind
    bereits im Hause.“
    Der Wanderer nahm schnell seine Mütze vom Kopfe und
    machte ehrfurchtsvolle, ja furchtsame Verbeugungen, von Rot
    übergossen. Denn eine neue Wendung war eingetreten, ein
    Fräulein beschritt den Schauplatz der Ereignisse. Doch scha-
    dete ihm seine Blödigkeit und übergroße Ehrerbietung nichts
    bei der Dame; im Gegenteil, die Schüchternheit, Demut und
    Ehrerbietung eines so vornehmen und interessanten jungen
    Edelmanns erschien ihr wahrhaft rührend, ja hinreißend. Da
    sieht man, fuhr es ihr durch den Sinn, je nobler, desto beschei-
    dener und unverdorbener; merkt es euch, ihr Herren Wild-
    fänge von Goldach, die ihr vor jungen Mädchen kaum mehr
    den Hut berührt!
    Sie grüßte den Ritter daher auf das holdseligste, indem sie
    auch lieblich errötete, und sprach sogleich hastig und schnell
    und vieles mit ihm, wie es die Art behaglicher Kleinstädte-
    rinnen ist, die sich den Fremden zeigen wollen. Strapinski
    hingegen wandelte sich in kurzer Zeit um; während er bisher
    nichts getan hatte, um im geringsten in die Rolle einzugehen,
    die man ihm aufbürdete, begann er nun unwillkürlich etwas
    gesuchter zu sprechen und mischte allerhand polnische Brok-
    ken in die Rede, kurz, das Schneiderblütchen fing in der Nähe
    des Frauenzimmers an, seine Sprünge zu machen und seinen
    Reiter davonzutragen.
    Am Tisch erhielt er den Ehrenplatz neben der Tochter des
    Hauses; denn die Mutter war gestorben. Er wurde zwar bald
    wieder melancholisch, da er bedachte, nun müsse er mit den
    andern wieder in die Stadt zurückkehren oder gewaltsam in
    die Nacht hinaus entrinnen, und da er ferner überlegte, wie
    vergänglich das Glück sei, welches er jetzt genoß. Aber den-
    noch empfand er dies Glück und sagte sich zum voraus: Ach,
    einmal wirst du doch in deinem Leben etwas vorgestellt und
    neben einem solchen höhern Wesen gesessen haben.
    Es war in der Tat keine Kleinigkeit, eine Hand neben sich
    glänzen zu sehen, die von drei oder vier Armbändern klirrte,
    und bei einem flüchtigen Seitenblick jedesmal einen abenteu-
    erlich und reizend frisierten Kopf, ein holdes Erröten, einen
    vollen Augenaufschlag zu sehen. Denn er mochte tun oder
    lassen, was er wollte, alles wurde als ungewöhnlich und no-
    bel ausgelegt und die Ungeschicklichkeit selbst als merkwür-
    dige Unbefangenheit liebenswürdig befunden von der jungen
    Dame, welche sonst stundenlang über gesellschaftliche Ver-
    stöße zu plaudern wußte. Da man guter Dinge war, sangen
    ein paar Gäste Lieder, die in den dreißiger Jahren Mode wa-
    ren. Der Graf wurde gebeten, ein polnisches Lied zu singen.
    Der Wein überwand seine Schüchternheit endlich, obschon
    nicht seine Sorgen; er hatte einst einige Wochen im Polni-
    schen gearbeitet und wußte einige polnische Worte, sogar ein
    Volksliedchen auswendig, ohne ihres Inhaltes bewußt zu sein,
    gleich einem Papagei. Also sang er mit edlem Wesen, mehr
    zaghaft als laut und mit einer Stimme, welche wie von einem
    geheimen Kummer leise zitterte, auf polnisch:
    Hunderttausend Schweine pferchen
    Von der Desna bis zur Weichsel,
    Und Kathinka, dieses Saumensch,
    Geht im Schmutz bis an die Knöchel!
    Hunderttausend Ochsen brüllen
    Auf Wolhyniens grünen Weiden,
    Und Kathinka, ja Kathinka,
    Glaubt, ich sei
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