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Finstere Propheziung

Finstere Propheziung

Titel: Finstere Propheziung
Autoren: H. B. Gilmour , Randi Reisfeld
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Kapitel 1 - VIERZEHN JAHRE ZUVOR

     
    Der mitternächtliche Wald wimmelte von Hexen. Ein gutes Dutzend lief durch den mondhellen Hain, Fackeln tragend, suchend, ihrem Meister folgend, Thantos, dem Mächtigen. Eine weitere Hexe, jung, eitel und schön, verbarg sich im Schatten eines uralten Baumes. Ihr Name war Ileana. Zwei Säuglinge schliefen in ihren Armen, dicht an die blaue Seide ihres Gewandes gepresst. Ihr bejahrter Partner, der - von seinen Hosen aus Samt und dem dazu passenden Mantel bis hin zu seinen Samtschuhen -ganz in Schwarz gekleidete Zauberer Karsh, war offenbar verschwunden. »Karsh«, flüsterte Ileana, ihr Atem war sichtbar in der eisigen Nacht. »Warum habt Ihr uns verlassen ?«
    »Still!«, befahl eine Stimme. Sie schien geradewegs aus dem Baum zu kommen. »Ich hab's ja geahnt«, zischte Ileana und versetzte dem Baumstamm einen Tritt. »Karsh, alter Hexer, Eure Angeberei ist momentan vollkommen unangebracht.«
    »Seid endlich still«, drohte der Baum und fügte dann höflich hinzu: »Oh, große Hexe.«
    Es reizte Ileana, den Stamm noch einmal zu treten, seiner schuppigen Borke irgendeine Grobheit zuzuflüstern. Doch eines der Kinder in ihren Armen begann unruhig zu werden und zu strampeln.
    Offenbar hörte auch das kleine Mädchen, was Karsh gehört hatte. Nun nahm Ileana es ebenfalls wahr. Die schweren Nagelstiefel Thantos', die durch den Schnee malmten. Der Mächtige führte seine Späher in ihre Richtung.
    Rasch tauchte Ileana einen Finger in die Kräutermischung, die sie in einem Beutel an ihrer Hüfte aufbewahrte, und benetzte die Lippen des unruhigen Kindes mit einer Salbe aus Honig und Thymian.
    Welches Baby war es, Apolla oder Artemis? Sie waren einander so ähnlich, dass man es unmöglich erkennen konnte. Schon jetzt färbten sich ihre bei der Geburt nahezu farblosen Augen grau, es war das gleiche verblüffende Grau wie das ihrer eigenen Augen, bemerkte Ileana.
    Während Thantos' Schritte näher heranrückten, sah Ileana das Schimmern eines der goldenen Amulette, an denen man die Kinder unterscheiden konnte. Es war die Kette mit dem zarten Halbmond, die Artemis gehörte.
    Ileana hätte es wissen müssen. Artemis war immer rege, klar und achtsam. Ihre Zwillingsschwester Apolla, an deren Kette ein anderes, dazu passendes Amulett hing, war die gelassenere von beiden. Kein Wunder, dass Thantos diese Kinder in seine Macht bringen wollte. Schon jetzt war deren mediale Begabung offenkundig. Ihre Sinne waren äußerst scharf, sie erkannten die drohende Gefahr. Doch Thantos der Mächtige und seine Fackeln tragende Meute liefen geradewegs an ihnen vorüber. Langsam verhallten ihre Schritte, als sie den Wald verließen. Thantos hatte sie nicht gefunden. Dennoch presste Ileana die Kinder an sich, vermittelte ihnen, dass sie nicht schreien, keinen Laut von sich geben durften.
    Sie warteten - Minuten vergingen, Stunden. Ileana lauschte auf den brausenden Wind, den Ruf einer einsamen Eule. Schließlich trat sie aus den Schatten. »Karsh«, murrte sie. »Ihr könnt jetzt wieder Gestalt annehmen. Eure Geschicklichkeit hat uns alle sehr beeindruckt.«
    »Wie Ihr meint, große Hexe.« Er musste lächeln. Große Hexe? Sie ist ja selber fast noch ein Kind, dachte er, während Karsh Eissplitter aus seinem starken weißen Haar klaubte. Nun ja. Die Jugend hat Anspruch auf Respekt, er ist die Voraussetzung dafür, dass sie ihre Stärke entfalten kann. Karsh lächelte und bürstete Schnee von seinem samtenen Mantel, der noch einen Moment zuvor eine gewundene Baumrinde gewesen war. Karsh war sehr alt, ein Zauberer, so geübt in seiner Kunst, dass er - ebenso wie sein Rivale Thantos - den Rang eines Mächtigen erreicht hatte. In jahrzehntelanger Arbeit hatte er seine Fertigkeiten zur Vollendung gebracht. Ileana hingegen hatte es, all ihrer schmollenden Eitelkeit und ihrer Launen zum Trotz, bislang wenigstens bis zum Vormund gebracht. Sie war keine schlechte Hexe - nur jung, eigensinnig und schrecklich ungeduldig. Wie die wenigen Zauberer, die sich seit alters her »Mächtiger« nennen durften, so hatte auch Karsh ein Talent für das Annehmen von Gestalten. Ohne Übertreibung konnte er sich in beinahe alles verwandeln: in einen Baum, einen Felsen, in strömendes Wasser, in Tiere jeglichen Alters - und in Menschen. Ileana hingegen war zum Vormund ernannt worden; sie sollte den Kindern Demut lehren, ihnen beibringen, zuverlässig, verantwortungsbewusst und vertrauenswürdig zu sein.
    »Nehmt die Kinder, Karsh. Lauft
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