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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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zu haben! Also vorgesehen, weil es noch Zeit ist!
    Das Türmchen, was sie da aufgestellt haben, dürfte leichtlich
    die letzte Speise sein, daran will ich mich halten, komme, was
    da wolle! Was ich einmal im Leibe habe, kann mir kein König
    wieder rauben!“
    Gesagt, getan; mit dem Mute der Verzweiflung hieb er in
    die leckere Pastete, ohne an ein Aufhören zu denken, so daß
    sie in weniger als fünf Minuten zur Hälfte geschwunden war
    und die Sache für die Abendherren sehr bedenklich zu wer-
    den begann. Fleisch, Trüffeln, Klößchen, Boden, Deckel, alles
    schlang er ohne Ansehen der Person hinunter, nur besorgt,
    sein Ränzchen vollzupacken, ehe das Verhängnis hereinbrä-
    che; dazu trank er den Wein in tüchtigen Zügen und steckte
    große Brotbissen in den Mund; kurz, es war eine so hastig
    belebte Einfuhr, wie wenn bei aufsteigendem Gewitter das
    Heu von der nahen Wiese gleich auf der Gabel in die Scheune
    geflüchtet wird. Abermals lief der Wirt in die Küche und rief:
    „Köchin! Er ißt die Pastete auf, während er den Braten kaum
    berührt hat! Und den Bordeaux trinkt er in halben Gläsern!“
    „Wohl bekomm es ihm,“ sagte die Köchin, „lassen Sie ihn
    nur machen, der weiß, was Rebhühner sind! Wär er ein ge-
    meiner Kerl, so hätte er sich an den Braten gehalten!“
    „Ich sag’s auch,“ meinte der Wirt; „es sieht sich zwar nicht
    ganz elegant an, aber so hab ich, als ich zu meiner Ausbildung
    reiste, nur Generäle und Kapitelsherren essen sehen!“
    Unterdessen hatte der Kutscher die Pferde füttern lassen
    und selbst ein handfestes Essen eingenommen in der Stube
    für das untere Volk, und da er Eile hatte, ließ er bald wieder
    anspannen. Die Angehörigen des Gasthofes zur Waage konn-
    ten sich nun nicht länger enthalten und fragten, eh es zu spät
    wurde, den herrschaftlichen Kutscher geradezu, wer sein Herr
    da oben sei und wie er heiße? Der Kutscher, ein schalkhaf-
    ter und durchtriebener Kerl, versetzte: „Hat er es noch nicht
    selbst gesagt?“
    „Nein“, hieß es, und er erwiderte: „Das glaub ich wohl, der
    spricht nicht viel in einem Tage; nun, es ist der Graf Strapin-
    ski! Er wird aber heut und vielleicht einige Tage hierbleiben,
    denn er hat mir befohlen, mit dem Wagen vorauszufahren.“
    Er machte diesen schlechten Spaß, um sich an dem Schnei-
    derlein zu rächen, das, wie er glaubte, statt ihm für seine Ge-
    fälligkeit ein Wort des Dankes und des Abschiedes zu sagen,
    sich ohne Umsehen in das Haus begeben hatte und den Her-
    ren spielte. Seine Eulenspiegelei aufs Äußerste treibend, be-
    stieg er auch den Wagen, ohne nach der Zeche für sich und
    die Pferde zu fragen, schwang die Peitsche und fuhr aus der
    Stadt, und alles ward so in der Ordnung befunden und dem
    guten Schneider aufs Kerbholz gebracht.
    Nun mußte es sich aber fügen, daß dieser, ein gebore-
    ner Schlesier, wirklich Strapinski hieß, Wenzel Strapinski,
    mochte es nun der Zufall sein, oder mochte der Schneider sein
    Wanderbuch im Wagen hervorgezogen, es dort vergessen und
    der Kutscher es zu sich genommen haben. Genug, als der Wirt
    freudestrahlend und händereibend vor ihn hintrat und fragte,
    ob der Herr Graf Strapinski zum Nachtisch ein Glas alten
    Tokaier oder ein Glas Champagner nehme, und ihm meldete,
    daß die Zimmer soeben zubereitet würden, da erblaßte der
    arme Strapinski, verwirrte sich von neuem und erwiderte gar
    nichts.
    „Höchst interessant!“ brummte der Wirt für sich, indem er
    abermals in den Keller eilte und aus besonderm Verschlage
    nicht nur ein Fläschchen Tokaier, sondern auch ein Krügelchen
    Bocksbeutel holte und eine Champagnerflasche schlechthin
    unter den Arm nahm. Bald sah Strapinski einen kleinen Wald
    von Gläsern vor sich, aus welchem der Champagnerkelch wie
    eine Pappel emporragte. Das glänzte, klingelte und duftete
    gar seltsam vor ihm, und was noch seltsamer war, der arme,
    aber zierliche Mann griff nicht ungeschickt in das Wäldchen
    hinein und goß, als er sah, daß der Wirt etwas Rotwein in sei-
    nen Champagner tat, einige Tropfen Tokaier in den seinigen.
    Inzwischen war der Stadtschreiber und der Notar gekommen,
    um den Kaffee zu trinken und das tägliche Spielchen um den-
    selben zu machen; bald kam auch der ältere Sohn des Hauses
    Häberlin und Cie., der jüngere des Hauses Pütschli-Nievergelt,
    der Buchhalter einer großen Spinnerei, Herr Melcher Böhni;
    allein statt ihre Partie zu spielen, gingen sämtliche Herren
    in weitem Bogen hinter dem
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