Kleider machen Leute
Ihnen den Weg weisen!“
und führte ihn durch einen langen Gang, der nirgend anders
endigte als vor einer schön lackierten Türe, auf welcher eine
zierliche Inschrift angebracht war.
Also ging der Mantelträger ohne Widerspruch, sanft wie
ein Lämmlein, dort hinein und schloß ordentlich hinter sich
zu. Dort lehnte er sich bitterlich seufzend an die Wand und
wünschte der goldenen Freiheit der Landstraße wieder teil-
haftig zu sein, welche ihm jetzt, so schlecht das Wetter war, als
das höchste Glück erschien.
Doch verwickelte er sich jetzt in die erste selbsttätige Lüge,
weil er in dem verschlossenen Raume ein wenig verweilte, und
er betrat hiemit den abschüssigen Weg des Bösen.
Unterdessen schrie der Wirt, der ihn gesehen hatte im
Mantel dahingehen: „Der Herr friert! Heizet mehr ein im
Saal! Wo ist die Lise, wo ist die Anne? Rasch einen Korb Holz
in den Ofen und einige Hände voll Späne, daß es brennt!
Zum Teufel, sollen die Leute in der Waage im Mantel zu Tisch
sitzen?“
Und als der Schneider wieder aus dem langen Gange
hervorgewandelt kam, melancholisch wie der umgehende
Ahnherr eines Stammschlosses, begleitete er ihn mit hun-
dert Komplimenten und Handreibungen wiederum in den
verwünschten Saal hinein. Dort wurde er ohne ferneres Ver-
weilen an den Tisch gebeten, der Stuhl zurechtgerückt, und
da der Duft der kräftigen Suppe, dergleichen er lange nicht
gerochen, ihn vollends seines Willens beraubte, so ließ er sich
in Gottes Namen nieder und tauchte sofort den schweren Löf-
fel in die braungoldene Brühe. In tiefem Schweigen erfrischte
er seine matten Lebensgeister und wurde mit achtungsvoller
Stille und Ruhe bedient.
Als er den Teller geleert hatte und der Wirt sah, daß es ihm
so wohl schmeckte, munterte er ihn höflich auf, noch einen
Löffel voll zu nehmen, das sei gut bei dem rauhen Wetter.
Nun wurde die Forelle aufgetragen, mit Grünem bekränzt,
und der Wirt legte ein schönes Stück vor. Doch der Schnei-
der, von Sorgen gequält, wagte in seiner Blödigkeit nicht, das
blanke Messer zu brauchen, sondern hantierte schüchtern
und zimperlich mit der silbernen Gabel daran herum. Das
bemerkte die Köchin, welche zur Türe hereinguckte, den
großen Herren zu sehen, und sie sagte zu den Umstehenden:
„Gelobt sei Jesus Christ! Der weiß noch einen feinen Fisch zu
essen, wie es sich gehört, der sägt nicht mit dem Messer in
dem zarten Wesen herum, wie wenn er ein Kalb schlachten
wollte. Das ist ein Herr von großem Hause, darauf wollt ich
schwören, wenn es nicht verboten wäre! Und wie schön und
traurig er ist! Gewiß ist er in ein armes Fräulein verliebt, das
man ihm nicht lassen will! Ja, ja, die vornehmen Leute haben
auch ihre Leiden!“
Inzwischen sah der Wirt, daß der Gast nicht trank, und
sagte ehrerbietig: „Der Herr mögen den Tischwein nicht;
befehlen Sie vielleicht ein Glas guten Bordeaux, den ich be-
stens empfehlen kann?“
Da beging der Schneider den zweiten selbsttätigen Feh-
ler, indem er aus Gehorsam ja statt nein sagte, und alsobald
verfügte sich der Waagwirt persönlich in den Keller, um eine
ausgesuchte Flasche zu holen; denn es lag ihm alles daran,
daß man sagen könne, es sei etwas Rechtes im Ort zu haben.
Als der Gast von dem eingeschenkten Weine wiederum aus
bösem Gewissen ganz kleine Schlücklein nahm, lief der Wirt
voll Freuden in die Küche, schnalzte mit der Zunge und rief:
„Hol mich der Teufel, der versteht’s, der schlürft meinen guten
Wein auf die Zunge, wie man einen Dukaten auf die Gold-
waage legt!“
„Gelobt sei Jesus Christ!“ sagte die Köchin, „ich hab’s ja
behauptet, daß er’s versteht!“
So nahm die Mahlzeit denn ihren Verlauf, und zwar sehr
langsam, weil der arme Schneider immer zimperlich und
unentschlossen aß und trank und der Wirt, um ihm Zeit zu
lassen, die Speisen genugsam stehenließ. Trotzdem war es
nicht der Rede wert, was der Gast bis jetzt zu sich genommen;
vielmehr begann der Hunger, der immerfort so gefährlich ge-
reizt wurde, nun den Schrecken zu überwinden, und als die
Pastete von Rebhühnern erschien, schlug die Stimmung des
Schneiders gleichzeitig um, und ein fester Gedanke begann
sich in ihm zu bilden. „Es ist jetzt einmal, wie es ist!“ sagte
er sich, von einem neuen Tröpflein Weines erwärmt und auf-
gestachelt; „nun wäre ich ein Tor, wenn ich die kommende
Schande und Verfolgung ertragen wollte, ohne mich dafür
satt gegessen
Weitere Kostenlose Bücher