Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Autoren: Anne Sinclair
Vom Netzwerk:
PROLOG
    E IN REGENTAG ANFANG 2010 . Wegen einer Demonstration ist mein Viertel von der Polizei gesperrt, die Umgebung der Bastille ist unpassierbar, und ich kann mein Auto nicht einfach stehen lassen. Endlich vor einem Polizeikordon angekommen, der den Boulevard Beaumarchais abriegelt, lasse ich mein Fenster herunter und frage den regenüberströmten Polizisten, ob ich wie die anderen Anwohner durchfahren darf. »Ihre Papiere«, bittet er müde. Ich bin gerade erst umgezogen, die neue Adresse ist weder in meinem Führerschein noch in meinem Personalausweis eingetragen. Er bedauert, mein Wort allein genüge nicht. Ich brauche eine Wohnsitzbescheinigung. Ich kann nicht nach Hause zurück.
    Kurz darauf schreibe ich nach Nantes an das Amt, das die Geburtsurkunden für im Ausland geborene Franzosen ausstellt, und sobald ich das Dokument in Händen habe, gehe ich zur Polizeipräfektur, um die nötigen Papiere vorzuzeigen: den gewünschten Auszug aus dem Geburtsregister und meinen erst vor Kurzem erneuerten Personalausweis, der noch sieben Jahre gültig ist.
    Lange Warteschlange, Ticket am Eingang, ich ziehe eine Nummer und betrachte in den anderthalb Stunden Wartezeit all die Leute, die hier für ihre Personalausweise oder Pässe anstehen. Ich sehe auch, wie die müden, zu wenigen Angestelltenmit den verloren wirkenden Gesuchstellern umspringen. »Madame, wir müssen schließlich wissen, ob Sie aus Guadeloupe sind oder nicht!«, fährt man eine alte Dame an, in einem Ton, in dem man wohl kaum gefragt hätte: »Aus welchem Departement kommen Sie?«
    Ich bin an der Reihe und ziehe die geforderten Dokumente aus meiner Mappe. Der Herr-hinter-dem-Schalter äußert sein Erstaunen, dass ich im Ausland geboren bin. Ich antworte, dass ich tatsächlich in New York, also ganz offensichtlich im Ausland zur Welt gekommen bin, weshalb meine Papiere von dem Amt in Nantes ausgestellt wurden. Da verlangt er die Geburtsurkunden meiner Eltern. Ich erspare ihm ihre Geschichte und warum sie sich nach der Entlassung meines Vaters aus den Freien Französischen Streitkräften de Gaulles in New York begegnet sind; ich verkneife mir auch, zu erklären, dass ich dort nur zufällig geboren wurde und schon mit zwei Jahren mit meiner Familie nach Frankreich kam, um dort den Rest meines Lebens zu verbringen – um ein Haar hätte ich nach Entschuldigungen gesucht, nicht auf französischem Boden geboren zu sein …
    Stattdessen äußere ich mein Erstaunen über seine beharrliche Forderung nach den Geburtsurkunden meiner Eltern. Auf der meinen, sage ich, steht doch – schauen Sie, Monsieur –, dass Anne S. die Tochter von Robert S. und Micheline R. ist, beide in Paris geboren. Also bin ich schon durch Abstammung Französin. Dann führe ich meinen vor drei Jahren ausgestellten und bis 2017 gültigen Personalausweis ins Feld. Sollten die Behörden plötzlich Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit haben, sei es an ihnen, Beweise zu erbringen.
    Aber er besteht darauf: Diese Papiere sind nach den neuenRichtlinien von 2009 für jeden Staatsbürger erforderlich, der sein »Franzosentum« beweisen wolle.
    »Sind Ihre vier Großeltern Franzosen?«, fragt der Herr-hinter-dem-Schalter.
    Ich fürchte, ihn falsch verstanden zu haben, und bitte ihn, die Frage zu wiederholen.
    »Sind Ihre vier Großeltern in Frankreich geboren oder nicht?«
    »Das letzte Mal, als man derartige Fragen gestellt hat, ließ man die Menschen anschließend in einen Zug nach Drancy steigen!«, sage ich erstickt.
    »Wie? Was für einen Zug? Wovon reden Sie? Ich sage Ihnen noch einmal, dass ich dieses Dokument brauche, kommen Sie erst wieder, wenn Sie es haben.« Und er entlässt mich grob, indem er meine Mappe zu mir schubst, die, wie es der Zufall will, auch noch gelb ist …
    Sinnlos, diesem Beamten eine Nachhilfestunde in Geschichte zu geben, da ihm die Vichy-Gesetze nichts sagen und ihm auch keiner der für diese neuen Richtlinien Verantwortlichen erklärt hat, dass man Formulierungen, die an unselige Zeiten erinnern, besser vermeiden sollte.
    Erbittert gehe ich. Ohne es diesem pflichtbewussten Beamten wirklich übel zu nehmen, aber mit dem Gefühl, dass meine Geburt verdächtig ist, als gäbe es zwei Kategorien von Franzosen und einige wären es mehr als andere. Dann fällt mir auf, wie absurd das alles ist, hatten mir doch vor Jahren die französischen Bürgermeister in Unkenntnis dieses hässlichen Zweifels an meiner Herkunft die Ehre erwiesen, mein Bildnis als Verkörperung der nationalen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher