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Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)

Titel: Lieber Picasso, wo bleiben meine Harlekine?: Mein Großvater, der Kunsthändler Paul Rosenberg (German Edition)
Autoren: Anne Sinclair
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Gemey wurde damals von L’Oréal aufgekauft, einer Firma, von der man weiß, dass sie früher bekannte Kollaborateure beschäftigt hat: Jean Filliol (der vor dem Krieg versucht hatte, Léon Blum zu ermorden) war bei der Befreiung nach Spanien geflohen, wo er die spanische Niederlassung von L’Oréal leitete, und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, u.a. wegen Beihilfe zum Massaker von Oradour-sur-Glane durch die Nazidivision
Das Reich.
Ein anderer leitender Angestellter von L’Oréal, Jacques Corrèze, war früher einer der Hauptverantwortlichen im Geheimbund La Cagoule von Eugène Deloncle, der von Eugène Schueller, dem Vater von Liliane Bettencourt, finanziert wurde. Jacques Corrèze war schon 1941 der LVF beigetreten, der Legion der französischen Freiwilligen gegen den Bolschewismus, die aufseiten der Naziskämpfte, und später der Division Charlemagne, jener Waffen-SS-Division, die überwiegend aus französischen Freiwilligen bestand. 1948 zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, wurde er ein Jahr später entlassen und sofort von Schueller eingestellt, der ihn als Chef der dortigen Filiale nach Amerika schickte. 1959 amnestiert und in den Sechzigerjahren rehabilitiert, starb er 1991 in Paris, während das amerikanische Office of Special Investigations (OSS) wegen möglicher Kriegsverbrechen gegen ihn ermittelte.
    Die Affäre Bettencourt, die freilich nichts mit dieser Vorgeschichte zu tun hat, hat vor Kurzem auch die Vergangenheit und die Freundschaften des Firmengründers Schueller wieder in die Schlagzeilen gebracht.
    Das von Serge Klarsfeld zusammengestellte Dossier ermöglichte es der Justiz, Jean Leguay wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuklagen. Ich erinnere mich, dass ich meinen Vater zu der Pressekonferenz mitnahm, auf der Klarsfeld bekannt gab, dass die Klagen gegen Bousquet und Leguay für zulässig erklärt worden waren. Das war 1979. Mein Vater, der genauso alt war wie Leguay, aber 1980 mit einundsiebzig Jahren relativ jung starb, hatte mir beim Verlassen von Klarsfelds Büro gesagt: »Du wirst sehen, er wird nach mir und friedlich in seinem Bett sterben.« In der Tat starb Jean Leguay 1989 vor der Eröffnung seines Prozesses. Immerhin stand im richterlichen Einstellungsbeschluss des hinfällig gewordenen Verfahrens ausdrücklich, dass »die Informationen es erlaubten, (…) seine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit festzustellen«.
    So harmlos die Episode in der Polizeipräfektur auch war, die dort gestellten Fragen nach meiner Identität weckten eine Flut von Familienerinnerungen.
    Jahrelang hatte ich mich geweigert, mir die Geschichten aus der Vergangenheit anzuhören, die meine Mutter wieder und wieder erzählte. Nicht um irgendeinen Abscheu vor der Familie zu demonstrieren, sondern weil die Geschichte meiner Großeltern, die ich zu kennen glaubte, nicht die meine war, nicht mein Leben betraf. Offen gestanden langweilte sie mich auch ein wenig. Ich interessierte mich für Politik und Journalismus, die Anliegen meines Vaters waren mir näher als die meiner Mutter. Meines Vaters, der während des Krieges für das Freie Frankreich im Nahen Osten war; meines Vaters, der im Auftrag von General de Gaulle unter dem Namen Jacques Breton Journalist bei Radio Beirut war; meines Vaters, der mir stolz die Agenturmeldung zeigte, in der Goebbels den »Juden Sinclair«, wie er auf gut Glück, aber richtig riet, verunglimpfte und zum Tod verurteilte. Meines Vaters, der nach der Befreiung nach Paris zurückkehrte, um seinen Vater wiederzusehen, der seit Drancy schwer krank war und kurz darauf starb.
    Auch wenn mein Vater dann eine Laufbahn als Manager eines Industrieunternehmens einschlug, die meilenweit von meinen eigenen Interessen entfernt war, waren mir doch seine in Tagebüchern festgehaltenen Kriegserinnerungen näher als die meiner Familie mütterlicherseits, die noch dazu dieser Kunsthändler-Großvater überstrahlte, den ich kaum kannte, denn als er starb, war ich erst elf. Kurz, ich stand insgeheim aufseiten meines »Heldenvaters«, der sich gutmütig über »Meine-Mutter-die-den-Krieg-in-der-Fifth-Avenue-erlebt-hat« lustig machte!
    Mein Vater, Robert Sinclair, hieß in seiner Jugend Robert Schwartz. 1939 wurde er eingezogen und als einfacher Soldat zum Wetterdienst an die Front geschickt. Er war auf einem Grenzposten (an der Maginot-Linie?) und spielte mit einem Kameraden auf einem anderen strategischen Posten Schach, jeden Tag einen Zug, den sie sich bei ihren
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