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Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
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auch als
    Schneidermeister in Goldach geblieben und hätte jetzt die Mit-
    tel gehabt, sich da ein bescheidenes Auskommen zu begrün-
    den; allein es war klar, daß er hier nur als Graf leben konnte.
    Wegen des sichtlichen Vorzuges und Wohlgefallens, des-
    sen er sich bei jeder Gelegenheit von seiten des schönen Nett-
    chens zu erfreuen hatte, waren schon manche Redensarten
    im Umlauf, und er hatte sogar bemerkt, daß das Fräulein hin
    und wieder die Gräfin genannt wurde. Wie konnte er diesem
    Wesen nun eine solche Entwicklung bereiten? Wie konnte er
    das Schicksal, das ihn gewaltsam so erhöht hatte, so frevelhaft
    Lügen strafen und sich selbst beschämen?
    Er hatte von seinem Lotteriemann, genannt Bankier, ei-
    nen Wechsel bekommen, welchen er bei einem Goldacher
    Haus einkassierte; diese Verrichtung bestärkte abermals die
    günstigen Meinungen über seine Person und Verhältnisse,
    da die soliden Handelsleute nicht im entferntesten an einen
    Lotterieverkehr dachten. An demselben Tage nun begab sich
    Strapinski auf einen stattlichen Ball, zu dem er geladen war.
    In tiefes, einfaches Schwarz gekleidet, erschien er und ver-
    kündete sogleich den ihn Begrüßenden, daß er genötigt sei
    zu verreisen.
    In zehn Minuten war die Nachricht der ganzen Versamm-
    lung bekannt, und Nettchen, deren Anblick Strapinski suchte,
    schien, wie erstarrt, seinen Blicken auszuweichen, bald rot,
    bald blaß werdend. Dann tanzte sie mehrmals hintereinan-
    der mit jungen Herren, setzte sich zerstreut und schnell at-
    mend und schlug eine Einladung des Polen, der endlich her-
    angetreten war, mit einer kurzen Verbeugung aus, ohne ihn
    anzusehen.
    Seltsam aufgeregt und bekümmert ging er hinweg, nahm
    seinen famosen Mantel um und schritt mit wehenden Locken
    in einem Gartenwege auf und nieder. Es wurde ihm nun klar,
    daß er eigentlich nur dieses Wesens halber so lange dageblie-
    ben sei, daß die unbestimmte Hoffnung, doch wieder in ihre
    Nähe zu kommen, ihn unbewußt belebte, daß aber der ganze
    Handel eben eine Unmöglichkeit darstelle von der verzwei-
    feltsten Art.
    Wie er so dahinschritt, hörte er rasche Tritte hinter sich,
    leichte, doch unruhig bewegte. Nettchen ging an ihm vor-
    über und schien, nach einigen ausgerufenen Worten zu urtei-
    len, nach ihrem Wagen zu suchen, obgleich derselbe auf der
    anderen Seite des Hauses stand und hier nur Winterkohlköpfe
    und eingewickelte Rosenbäumchen den Schlaf der Gerechten
    verträumten. Dann kam sie wieder zurück, und da er jetzt
    mit klopfendem Herzen ihr im Wege stand und bittend die
    Hände nach ihr ausstreckte, fiel sie ihm ohne weiteres um den
    Hals und fing jämmerlich an zu weinen. Er bedeckte ihre glü-
    henden Wangen mit seinen fein duftenden dunklen Locken,
    und sein Mantel umschlug die schlanke, stolze, schneeweiße
    Gestalt des Mädchens wie mit schwarzen Adlerflügeln; es war
    ein wahrhaft schönes Bild, das seine Berechtigung ganz allein
    in sich selbst zu tragen schien.
    Strapinski aber verlor in diesem Abenteuer seinen Verstand
    und gewann das Glück, das öfter den Unverständigen hold ist.
    Nettchen eröffnete ihrem Vater noch in selbiger Nacht beim
    Nachhausefahren, daß kein anderer als der Graf der Ihrige
    sein werde; dieser erschien am Morgen in aller Frühe, um bei
    dem Vater liebenswürdig schüchtern und melancholisch, wie
    immer, um sie zu werben, und der Vater hielt folgende Rede:
    „So hat sich denn das Schicksal und der Wille dieses törich-
    ten Mädchens erfüllt! Schon als Schulkind behauptete sie fort-
    während, nur einen Italiener oder einen Polen, einen großen
    Pianisten oder einen Räuberhauptmann mit schönen Locken
    heiraten zu wollen, und nun haben wir die Bescherung! Alle
    inländischen wohlmeinenden Anträge hat sie ausgeschlagen,
    noch neulich mußte ich den gescheiten und tüchtigen Mel-
    chior Böhni heimschicken, der noch große Geschäfte machen
    wird, und sie hat ihn noch schrecklich verhöhnt, weil er nur
    ein rötliches Backenbärtchen trägt und aus einem silbernen
    Döschen schnupft! Nun, Gott sei Dank, ist ein polnischer
    Graf da aus wildester Ferne! Nehmen Sie die Gans, Herr Graf,
    und schicken Sie mir dieselbe wieder, wenn sie in Ihrer Po-
    lackei friert und einst unglücklich wird und heult! Nun, was
    würde die selige Mutter für ein Entzücken genießen, wenn sie
    noch erlebt hätte, daß das verzogene Kind eine Gräfin gewor-
    den ist!“
    Nun gab es große Bewegung; in wenig Tagen sollte rasch
    die Verlobung gefeiert
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