Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleider machen Leute

Kleider machen Leute

Titel: Kleider machen Leute
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
mochte. Alles
    wurde demgemäß verabredet und zubereitet, als die Mutter
    nachdenklich und traurig wurde und mich eines Tages plötz-
    lich mit vielen Tränen bat, sie nicht zu verlassen, sondern mit
    ihr arm zu bleiben; sie werde nicht alt werden, sagte sie, und
    ich würde gewiß noch zu etwas Gutem gelangen, auch wenn
    sie tot sei. Die Gutsherrin, der ich das betrübt hinterbrachte,
    kam her und machte meiner Mutter Vorstellungen; aber diese
    wurde jetzt ganz aufgeregt und rief einmal um das andere, sie
    lasse sich ihr Kind nicht rauben; wer es kenne — “
    Hier stockte Wenzel Strapinski abermals und wußte sich
    nicht recht fortzuhelfen. Nettchen fragte: „Was sagte die Mut-
    ter, wer es kenne? Warum fahren Sie nicht fort?“
    Wenzel errötete und antwortete: „Sie sagte etwas Selt-
    sames, was ich nicht recht verstand und was ich jedenfalls
    seither nicht verspürt habe; sie meinte, wer das Kind kenne,
    könne nicht mehr von ihm lassen, und wollte wohl damit
    sagen, daß ich ein gutmütiger Junge gewesen sei oder etwas
    dergleichen. Kurz, sie war so aufgeregt, daß ich trotz alles Zu-
    redens jener Dame entsagte und bei der Mutter blieb, wofür
    sie mich doppelt liebhatte, tausendmal mich um Verzeihung
    bittend, daß sie mir vor dem Glücke sei. Als ich aber nun auch
    etwas verdienen lernen sollte, stellte es sich heraus, daß nicht
    viel anderes zu tun war, als daß ich zu unserm Dorfschneider
    in die Lehre ging. Ich wollte nicht, aber die Mutter weinte so
    sehr, daß ich mich ergab. Dies ist die Geschichte.“
    Auf Nettchens Frage, warum er denn doch von der Mutter
    fort sei und wann? erwiderte Wenzel:
    „Der Militärdienst rief mich weg. Ich wurde unter die Hu-
    saren gesteckt und war ein ganz hübscher roter Husar, obwohl
    vielleicht der dümmste im Regiment, jedenfalls der stillste.
    Nach einem Jahre konnte ich endlich für ein paar Wochen
    Urlaub erhalten und eilte nach Hause, meine gute Mutter zu
    sehen; aber sie war eben gestorben. Da bin ich denn, als meine
    Zeit vorbei war, einsam in die Welt gereist und endlich hier in
    mein Unglück geraten.“
    Nettchen lächelte, als er dieses vor sich hinklagte und sie
    ihn dabei aufmerksam betrachtete. Es war jetzt eine Zeitlang
    still in der Stube; auf einmal schien ihr ein Gedanke aufzu-
    tauchen.
    „Da Sie“, sagte sie plötzlich, aber dennoch mit zögerndem
    spitzigen Wesen, „stets so wertgeschätzt und liebenswürdig
    waren, so haben Sie ohne Zweifel auch jederzeit Ihre gehö-
    rigen Liebschaften oder dergleichen gehabt und wohl schon
    mehr als ein armes Frauenzimmer auf dem Gewissen — von
    mir nicht zu reden?“
    „Ach Gott,“ erwiderte Wenzel, ganz rot werdend, „eh ich zu
    Ihnen kam, habe ich niemals auch nur die Fingerspitzen eines
    Mädchens berührt, ausgenommen — “
    „Nun?“ sagte Nettchen.
    „Nun,“ fuhr er fort, „das war eben jene Frau, die mich mit-
    nehmen und bilden lassen wollte, die hatte ein Kind, ein Mäd-
    chen von sieben oder acht Jahren, ein seltsames heftiges Kind,
    und doch gut wie Zucker und schön wie ein Engel. Dem hatte
    ich vielfach den Diener und Beschützer machen müssen, und
    es hatte sich an mich gewöhnt. Ich mußte es regelmäßig nach
    dem entfernten Pfarrhof bringen, wo es bei dem alten Pfarrer
    Unterricht genoß, und es von da wieder abholen. Auch sonst
    mußte ich öfter mit ihm ins Freie, wenn sonst niemand gerade
    mitgehen konnte. Dieses Kind nun, als ich es zum letzten Mal
    im Abendschein über das Feld nach Hause führte, fing von der
    bevorstehenden Abreise zu reden an, erklärte mir, ich müßte
    dennoch mitgehen, und fragte, ob ich es tun wollte. Ich sagte,
    daß es nicht sein könne. Das Kind fuhr aber fort, gar beweg-
    lich und dringlich zu bitten, indem es mir am Arme hing und
    mich am Gehen hinderte, wie Kinder zu tun pflegen, so daß ich
    mich bedachtlos wohl etwas unwirsch frei machte. Da senkte
    das Mädchen sein Haupt und suchte beschämt und traurig die
    Tränen zu unterdrücken, die jetzt hervorbrachen, und es ver-
    mochte kaum das Schluchzen zu bemeistern. Betroffen wollte
    ich das Kind begütigen; allein nun wandte es sich zornig ab und
    entließ mich in Ungnaden. Seitdem ist mir das schöne Kind
    immer im Sinne geblieben, und mein Herz hat immer an ihm
    gehangen, obgleich ich nie wieder von ihm gehört habe — “
    Plötzlich hielt der Sprecher, der in eine sanfte Erregung
    geraten war, wie erschreckt inne und starrte erbleichend seine
    Gefährtin an.
    „Nun,“ sagte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher